Kartoffeldruck für Fortgeschrittene

Die beiden Donalds von VetteLetters, Amsterdam, entführen uns in ihr Kochstudio und bitten zu Tisch: Gereicht werden Lettern aus Kartoffeln und Gurkenschalen, wilde Ideen und viel Musik in fulminantem Vortrag – passenderweise um 12 Uhr mittags.

Donald Beekman, Donald Roos (Foto: Gerhard Kassner)

 

Donald Beekman und Donald Roos bewegen sich mit ihren VetteLetters „between food, fonts und the making of“. Sie eröffnen mit einem mehrgängigen Menüvorschlag, der von Spaghetti über Sardinen bis zu Barbecue reicht.

Los geht’s mit der BRAK. Der größere, lichtere Donald (Beekman) präsentiert die wuchtigen oder vielmehr brackigen, fast brachialen Blockbuchstaben – nach Brackwasser sind sie benannt. Zum Einsatz kam die VLNL Brak unter anderem für eine Keramikausstellung und als Wortmarke für den holländischen Sänger M.I.K.E.

Als nächstes sehen wir den Spaghetti-Font. Leckere Schwünge und Schnörkel. Und wie hört sich das an? In Saarbrücken haben die beiden dazu einen Workshop mit Studenten durchgeführt. Die sollten eine (zufällig zugeteilte) Schrift zum Musical machen. Ein gewisser Marco tat sich mit seinem Vorschlag für die VLNL Spaghetti™ hervor: Wir hören und sehen die Schnörkel gleichzeitig (sowie den großen Donald, der dazu begleitend auf der Bühne in kalligrafisches Schunkeln verfällt).

BINT wiederum ist nichts anderes als die Fortsetzung des Kartoffeldrucks mit typografischen Mitteln. Die Lettern werden aus Kartoffeln geschnitten. Schwierig, dafür die richtige Sorte zu finden. Vorwiegend festkochend?! Die Kartoffeln werden je nach ihrer Form für die einzelnen Buchstaben vorausgewählt. Noch schwieriger: spiegelverkehrt in die KartoFFeln schnitzen. Der kleinere, dunklere Donald (Roos) zeigt missratene, doch umso schönere Erstversuche auf dem Weg zur VLNL Bint™.

Es wird noch heftiger, deftiger: BROKKEN sieht aus wie vom Schlachter gehackt. Ja, es geht um Fleisch als Inspiration. Donald (groß) sagt „most of my types are done very quickly“ und zeigt, dass seine fleischigen Letterbrocken sogar für Theater- und Tanzplakate funktionieren, wo man vielleicht filigranere Fonts erwartet. Die VLNL Brokken™ findet ein Freund von Donald auch in New York: als „NYC“-Kürzel auf den gelben Taxis der Stadt. VetteLetters selbst nutzt die VLNL Brokken™ – auch hier, wie bei vielen ihrer Schriften, gibt es nur einen einzigen Schnitt – für ihr stempelartiges Firmenlogo, gedruckt auf Fußballtrikots. Sieht super aus.

(Foto: Gerhard Kassner)

(Foto: Gerhard Kassner)

Als „Refreshment“ spricht Donald (der kleinere, der sich auch als Donald® bezeichnet) über seine Beobachtung, dass Web-2.0-Designer Wolken lieben. Und Hellblau. Seine zahlreichen Belege zeigen hellblauen Wolkenhimmel allüberall. Also hat VetteLetters einen Font aus Wolken entworfen. Einfach Wolken. Wolken, die in zwei Schnitten leicht kursiv nach rechts und nach links „wehen“, je nachdem woher der Wind weht. Sie könnten auch als Klacks (Klacks? Berge!) frischer Schlagsahne durchgehen. VLNL Dream Meal und die anderen Donaldschen fetten Lettern kann man – Achtung, Werbepause 1, kündigen sie an – bei My Fonts kaufen.

Es folgen eine Waffelschrift und Berichte von Workshops mit Designern und Kartoffeln. Das Thema Kartoffeldruck scheint die beiden Donalde zu fesseln; sie setzen es quasi interaktiv ein. Sie lassen Grafiker und Schriftgestalter Kartoffeln schnitzen, Gurkenschalen biegen, die typografische Eignung der Karotte erkunden, kurz: mit Essen spielen. Auf den Bildern sieht das aus wie eine gemütliche, allerdings hoch konzentrierte Runde zuhause: lauter gute Freunde mit zerschnitztem Gemüse, Schalenhaufen und sorgfältig zurechtgezupften salatigen Arrangements vor sich und um sich herum. Angesichts des Durcheinanders merkt Donald® an, und das kommt eher leise daher: „We like to make a mess, that’s good for your health“.

Aufgemerkt: Liegt hier ein Geheimnis, eine Verbindung zwischen Food und Fonts bei VetteLetters? Ist das Teil ihrer ästhetischen Strategie? Type designing by Hackmesser?

In der Tat wächst aus dem vermeintlichen Chaos des Kochstudios die Ordnung. Bei näherem Betrachten entpuppen sich die Salate als Buchstaben, Wörter oder ganze Texte. Ein wunderschönes & aus gebogenen Gurkenscheiben (im Längsschnitt) bleibt nachhaltig in Erinnerung. Hat bestimmt gut geschmeckt. Mein Magen knurrt.

Hier folgt Werbepause Nummer 2: Die Workshops kann man buchen. Schnitzen, schnippeln, Buchstaben basteln und kochen mit den Donalds, was könnte es schöneres geben? Vielleicht zu ihrem jährlich stattfindenden Barbecue eingeladen werden: Wir sehen einen imposanten Riesengrill (der den Neid sämtlicher grillenden Großfamilien im Tiergarten auf sich ziehen würde) im diesigen (zugeräucherten?) Outdoor-Umfeld, nette Menschen, VetteLetters-Freunde, Kollegen und „friendly competitors“, die freudig Bierkästen, Kinder und riesige hellblaue Aufblas-Delphine anschleppen (Web-2.0-Designer? Vielleicht waren die Wolken vergriffen) …

Workshops mit Kindern machen Donald und Donald auch. Sie backen zum Beispiel Chocolate Cookies mit Ketchup nach einem Rezept von Heinz Ketchup („awful“), Haselnuss-Sandkuchenkekse, die wunderbar bold aufgehen, und brezelartige Buchstaben, die so lecker sind, dass sie kaum den Fototermin überleben.

Davon inspiriert, sowie von dem holländischen Brauch, Kindern an Nikolaus ihre Namen (oder den Anfangsbuchstaben) aus Schokolade zu schenken, gießen die Typoköche große Schokoladenlettern aus guter dunkler Schokolade, wie sie betonen, denn weiße Schokolade sei keine Schokolade (sondern Kakaobutter, dazu ganz unten mehr). Auch hier wieder ein einziges Gebatze und Geklecker: der Schokoladenbrei läuft über, die Gussform ist zu klein oder der Überschwang zu groß oder beides. Eine kyrillische Schokoladenletter in der Versuchsreihe bleibt Einzelstück, da sie sich als wenig lukrativ (um nicht zu sagen: völlig unverkäuflich) erweist. Trotzdem schwelgen die Chocolatiers von chinesischen Schriftzeichen, Hyroglyphen oder Hindi in Zartbitter …

Wir kommen zum Fisch. Der Monospace-Font VLNL Neue Sardines, entworfen von Jacques Le Bailly, einem Freund des Hauses, ist der weltweit größte seiner Art und weist statt des VetteLetters-typischen singulären Schnittes gleich 42 Stück auf. Der Sardinen-Font sei außerdem „unisex“, weil er anders als sonstige Schriftarten mit fester Breite (äquidistante oder dicktengleiche Schriften) auch eine feste, nicht proportionale Höhe hat. Die Sardinen condensed übrigens sind exakt halb so breit wie die regulären: ein grandioser Effekt, die vielen fischigen Schnitte eng aufgereiht nebeneinander zu sehen. Sie wirken wie die sprichwörtlichen Sardinen in der Dose.

Der eine Donald beißt herzhaft in eine Wurstsemmel (bald schließt sich der andere an). Die schlichte Bemerkung „we love music“ läutet nun einen weiteren üppigen Gang ein, eine ganze Menüfolge – sollte man hier von Platte sprechen? – für sich:

  • Mit befreundeten After-Effects-Spezialisten erstellt VetteLetters ein Musik-Video. Sie verquirlen optische Effekte aus Filmvorspannen der 60er und 70er Jahre zu den schönsten (typo-)grafischen Reihungen und Abläufen: Caro Emerald, That Man (erschienen auf Grand Mono).
  • Für die Rockband BLEEK seiner 12-jährigen Tochter entwickelt Donald Beekman (groß) das Logo und daraus abgeleitet eine komplette Schrift, die sämtliche Schriftzüge sämtlicher Hardrockbands in den Schatten stellt. Vorbild war der legendäre KISS-Schriftzug, der mit dem markant-zackigen doppelten S allerdings ungute Assoziationen wachrief (so dass er in Deutschland nur mit anderem „SS“ plakatiert werden durfte). Den ersten Entwürfen von BLEEK erging es ähnlich: Die Kinder waren vom zackigen Doppel-E begeistert, die Eltern unangenehm berührt. BLEEK in der finalen Form hat raffinierte Teilrundungen, die einerseits die Buchstaben weicher machen und seltsamerweise dabei ihre coole, scharfe, blitzartige Wirkung verstärken. Der Beweis: VetteLetters setzt die bestens vertrauten Schriftzüge klassischer Hardrock-Legenden in BLEEK – und sie sehen alle super aus, von Van Halen über Slayer, Led Zeppelin und Metallica zu Motörhead. Unglaublich. Bezaubernd übrigens das Video von BLEEK – der Band, nicht der Schrift – bei ihrem bislang einzigen Live-Auftritt in einem Amsterdamer Café, mit „Seven Nation Army” von den White Stripes. Den Band-Schriftzug gibt es gedruckt nur auf zwei BLEEK-T-Shirts (Tochter und Drummer). Alle haben mal klein angefangen.
  • Für die Typo 2006 und die Präsentation des Buches „Dutch Type” formieren sich die Fetten Lettern (auch das wäre ein klasse Bandname) mit Typo-Kollegen wie Just van Rossum zur Wolfraam Band, der einzigen Band der Welt, die mehr Logos hat als Songs. Nämlich rund 200.

Ich kann gleich nicht mehr. Doch das Dessert lässt sich niemand entgehen. Donald B. findet am Wegesrand zwei Schriftzüge, die ihn ob ihrer psychedelischen Qualitäten begeistern: einen von der „Eltheto Church“, den anderen am Schaufenster der Boutique „Belle Madame“. Auf dieser Basis entwirft er sein Bonbon mit extremen Serifen, Schwüngen und riesigen ovalen Punzen: irgendetwas zwischen Jugenstil, dem überschwänglichen Freiheitsgefühl der Sixties und völligem Wahnsinn. Eine Schrift wie eine sinnlose Süßigkeit: „it’s not good for you, but we love it“. Einzig seine eigene Neujahrskarte hat Donald (welcher noch gleich?) damit gedruckt, weitere schöne Entwürfe – Plakat, CD-Cover – werden wegen unleserlich von Auftraggeberseite abgelehnt.

(Foto: Gerhard Kassner)

Dann erzählen die beiden Donalde noch, dass ein gewisser Martin Lorenz aus Deutschland mit ihnen arbeitet, den sie wohl ganz an Barcelona verlieren werden (nein, er spielt nicht Fußball). Die Verhandlungen würden davon überschattet, dass dieser Martin sich (noch) nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, den Namen Donald anzunehmen und für immer zu bleiben.

In Werbepause 3 bitten Donald und Donald nur noch kurz darum, ihnen auf Twitter und Facebook zu folgen, und verteilen Postkarten ans begeisterte Publikum. Was heißt verteilen – sie werden ihnen aus den Händen gerissen, wie warme Semmeln.

Ist ja auch höchste Zeit fürs Mittagessen. Blendend gelaunt und sehr, sehr hungrig verlassen wir den Saal.

www.vetteletters.nl

Fette Lettern ankucken und kaufen:

http://new.myfonts.com/foundry/VetteLetters

Schrift als Musik:

www.typeradio.org

Das Musik-Typo-Video zu Caro Emerald, That Man:

http://www.youclubvideo.com/video/147490/caro-emerald-that-man-official-video

PS

Sehr schön, sehr klug und hintersinnig mit Essen spielt das Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss. Neben Experimenten mit Alltagsgegenständen, Schrift-Bildern und anderen Schönheiten wie einer getöpferten Riesenbohne bauen Peter Fischli und David Weiss Miniatur-Inszenierungen aus ihren Küchenvorräten: eine dramatische Unfallszene oder einen Teppichladen aus Karotte, Gürkchen, Zigarettenstummeln und Wurstscheiben (die „Wurstserie“ begründeten 1979 ihren Ruhm). Wer ihre – allein schon vom Titel her – grandiose Ausstellung „Fragen und Blumen“ 2008 in den Hamburger Deichtorhallen sehen konnte, ist für immer beglückt:

http://www.deichtorhallen.de/index.php?id=117

Versuchsanordnung „Der Lauf der Dinge“ von 1987:

http://www.medienkunstnetz.de/werke/the-way-of-things

http://www.youtube.com/watch?v=GXrRC3pfLnE

Fundiertestes zum Thema Schokolade (im Sinne von Schokolade, nicht Zuckerzeug), und das angereichert mit viel Musik und toll geschrieben, findet sich bei Holger in’t Veld, Schokoladen Rebellen. Der Sound der neuen Kakao-Kultur:

http://www.amazon.de/Schokoladenrebellen-Kakao-Kultur-Holger-int-Veld/dp/3821865067

Leider ist der Wegbereiter des Schokoladenbooms in Deutschland – legendär sein Laden am Helmholtzplatz in Berlin, Prenzlauer Berg (und nun tatsächlich Legende), legendär auch das Design der in’t Veld-Schokoladenschachteln mit dem Schiff – vor kurzem gekentert. Hat jemand einen Rettungsanker zur Hand? Bitte werfen:

www.intveld.de

 

Donald Roos

Donald Roos

After a wonderful career as a dishwasher, assistant cook, some kind of designer, and last but not least a type designer, Donald is now one of the CEOs of VetteLetters. VetteLetters is the tastiest font foundry in the universe. Donald enjoys working together with the other Donald (also CEO of VetteLetters).
Donald Beekman

Donald Beekman

Donald Beekman, born and raised in Amsterdam, has run his design studio DBXL since 1984. Over the years he has designed many logos, record and cd sleeves, flyers, posters, identities, magazines and packaging. Donald has also designed many typefaces, most of them emanating from logos or artwork designed for clients. Still a musician, he has been co-hosting Typeradio since 2004, and in 2008 joined Donald Roos in running the VetteLetters foundry.