Mehr als nur kribbelnde Impulse: Sechs nachhallende »Trigger«

Trigger (Auslöser) lautete unser Motto für die TYPO 2018, und Auslöser suchten wir.  Doch was genau ist ein Trigger? Ein Augenblick, ein Ereignis, das uns vorwärts bringt? Ein Gefühl, das uns zum Handeln treibt? Ein Impuls, etwas zu beginnen? Oder gerade das, was wir zum Überleben brauchen? Welche Rolle spielt der Trigger für unsere Kreativität, für Bewegung und Wandel? Was drängte die Kreativen auf unseren Bühnen, ihr Ding zu machen? Hier Einsichten einiger unserer Redner. // Den Artikel auf Englisch lesen.
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Von Catharina Dörr und Maciej Nadobnik

Charles Landry

 

Charles Landry: Welt in Bewegung

Die moderne Stadt ist dynamisch und wild. Menschen, Objekte und Ideen sind ständig im Fluss, während das Leben sich unaufhaltsam beschleunigt. VR generiert eine völlig neue Ebene im urbanen Geschwindigkeitsrausch und prägt die Stadt auf eine Weise, die dem bloßen Auge verborgen bleibt. Sich der Komplexität der sich permanent verändernden augmented reality zu stellen ist alles andere als einfach. Doch Charles Landry lässt sich davon nicht beeindrucken. Optimistisch, ja geradezu enthusiastisch schaut er der Zukunft entgegen. Kein Detail im Gewebe der Stadt entgeht seinem scharfen Blick. Seine Schlussfolgerungen sind kontrovers, doch wertvoll: „Wir müssen vom „nein, weil…“ zum „ja, wenn…“ kommen.“, sagt er. Bürokratie nervt ihn. Reale, spürbare Verbesserungen, angestoßen von Basisinitiativen sind seine Inspiration. Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Ganz einfach!

⇢ Charles Landry: The Civic City in the Nomadic World (video: 43 min)

 

Briar Levit: Exploration und Engagement

Was motiviert den Designer, ausgetretene Pfade zu verlassen? Für Briar Levit ist es der Drang, das Unbekannte zu erkunden, den sie immer wieder verspürt – insbesondere wenn es gilt, Routineaufgaben zu lösen. Selbstpublizierte Magazine, die Gestaltung von Wanderkarten, bei einem Film Regie führen: diese kreativen Medien entdeckte sie, weil sie schlicht ihrer Neugier folgte. Für ein neues Projekt – Graphic Means: A History of Graphic Design Production – wurde sie zur Regisseurin und Produzentin und musste sich weiteren unerwarteten Herausforderungen stellen: Es galt Fragen des Managements, der Budgetplanung und der Technik zu lösen. Dabei war nicht nur ihre Leidenschaft ein Treiber, sondern in hohem Maß auch die Verantwortung gegenüber ihren Geldgebern, die sie nicht enttäuschen wollte. Und diese waren immer glücklich.

⇢ Briar Levit: Designer as Filmmaker (video: 43 min)

 

handson

 

dina Amin: Tüfteln mit Liebe

dina Amin (mit kleinem d) ist weder Produkt- noch Animationsdesignerin. Sie nimmt Produkte auseinander. Warum? Weil es ihr Spaß macht. Nach ihrem Produktdesign-Studium arbeitete sie eine Weile in diesem Metier, gab es jedoch bald auf, um eigene Wege zu gehen. Ihr Ziel: Tun, was ihr gefällt, Probleme lösen, Geld verdienen. Schwierig! Motiviert von ihrem Ärger darüber, dass alle Produkte, die Designer entwerfen, am Ende Müll sind, begann dina Amin, weggeworfene Gegenstände zu sammeln und daraus verrückte Figuren zu gestalten, die in Stop-Motion-Filmen liebenswerte kleine Geschichten erzählen. Manches auseinandergenommene Objekt findet so zwar nie wieder zurück zur ursprünglichen Form, doch es kommuniziert ständig Neues. Inspiriert durch Online-Plattformen präsentiert dina Amin ihre kreativen Ideen weltweit, denn sie ist überzeugt: „Es geht immer um menschliche Interaktion.“

⇢ dina Amin: A Tinker Story (video: 49 min)

 

Frank Rausch: Nur eine Zeile Code

Auch Frank Rausch hat seinen „emotionalen“ Trigger: Ärger! Rausch ärgert sich. Zum Beispiel über schlechte Typografie in Apps, die wir Tag für Tag nutzen. Als Vorwand dafür herhalten müssen technische Schwierigkeiten mit den analogen Geräten, die die Gestalter für ihre Projekte nutzen. Rausch lässt das nicht als Entschuldigung gelten. Die digitale Welt – einschließlich der Programme – bietet Tools, deren Handhabung du lernen musst. Denn je besser du die Technik beherrschst, desto weiter kannst du denken und desto eher kannst du typografisch schöne Apps entwickeln. Die Zeit, in der ein Designer sagen konnte, etwas sei zu schwer, ist vorbei. Denn, so beweist Frank Rausch, für jedes Problem gibt es eine Zeile Code: schlechter Zeilenabstand, fieser Flattersatz und andere Schwächen, die den Gesamteindruck der Bedienungsoberfläche verhunzen, müssen nicht sein. Frank Rausch ärgert sich und entwickelt so den exakten Blick auf mikrotypografische Arbeiten und die Optimierung des Lesens auf digitalen Gadgets.

⇢ Frank Rausch: Die neue Typographie (video: 49 min)

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Sonja Knecht: Schöne Worte

Sonja Knecht ist Texterin. Beziehungsweise: Sonja Knecht entwickelt „verbale IDs“ für Designer und Unternehmen, die nach den richtigen Worten suchen. Fasziniert von und manchmal auch empört angesichts der Dinge, die sie auf der Straße, in Anzeigen oder online sieht, will sie ihre visuellen Impressionen adäquat wiedergeben oder – falls nötig- ändern. Text ist für sie überall. Text sollte uns wichtig sein, sagt sie. Denn Text ist mehr als die Summe der Buchstaben. Text ist Zeitzeuge, Geschichtenerzähler, Vermittler von Informationen und Emotionen, Text schafft Bilder in unseren Köpfen. Texten heißt, mit Worten gestalten. Sonja Knechts Kreativität wird eindeutig von Text getriggert. „Text, sex, shit!“. Ebenso wie die scharfen, lauten Letter t, s and x reizt sie die Bedeutung der Worte und der Kontext, in dem wir sie finden. Mit einem ausgeprägten Sinn dafür, dass jeder von uns seine eigene Beziehung zu Worten und den Bildern, die diese evozieren, hat, geht sie alle Varianten durch, in denen ein Satz aufgebaut sein kann. Leidenschaftlich jongliert sie mit Text und offenbart die Vielfalt, in der Inhalte transportiert werden können, wie ein Rhythmus entsteht und dass Text auslassen ebenso Texten ist wie Text schreiben. Knecht ermutigt uns, zu schreiben, denn „Worte sind unsere besten Freunde. Buchstaben auch.“ Wir müssen nur wissen, was wir mit ihnen machen wollen.

⇢ Sonja Knecht: Text – Sex – Scheiße (video: 49 min)

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Toshi Omagari: Retro-Zwang!

Manchmal ist das Limit Inspiration. Jedenfalls war das so in der guten alten Zeit der Spielautomaten, als anonyme Nicht-Typografen Pixel für Pixel Fonts auf einem 8×8-Raster zeichneten. Der Monotype-Schriftentwerfer und passionierte Gamer Toshi Omagari nimmt uns mit in diese Welt des gänzlich ungezähmten Erfindungsgeistes. In seiner Auswahl von hunderten von Schriften finden sich einige der krassesten Beispiele für Schriften überhaupt. Einige sind geradezu bizarr, hart an der Grenze von hässlich. Andere kommen moderat und ausgewogen daher. Omagari betont die cleveren Wege, die die Designer einschlugen, um Ideen Form zu verleihen, ohne rigide Spezifikationen zu missachten. Auch wenn die engen Grenzen der Vergangenheit längst hinter uns liegen, prägen sie unser visuelles Erbe, das selbst kein Verfallsdatum kennt. Inspiration ist auf zweifache Weise möglich: Zum einen vermittelt die nähere Betrachtung der Gestaltungsentscheidung mögliche konzeptionelle Ansätze, während die spezielle Erscheinungsform jedes einzelnen Font oder einer einzelnen Glyphe nur darauf wartet, in eine brandneue Kreation gesampled oder gemixt zu werden.

⇢ Toshi Omagari: Video to be released soon.

 

(Un)erhoffte Inspiration

TYPO 2018 – das waren jede Menge kreative Trigger: Lust auf Veränderung oder der drängende Gedanke, andere warteten nur auf dein Projekt. Neben den vielfältigen Variationen von Auslösern, über die TYPO-Redner berichteten, betonten sie immer wieder, dass es oft mit einem winzigen, fast unmerklichem Impuls beginnt. Vielleicht weißt du nicht, was deine nächste Inspiration ist. Keine Sorge! Es passiert genau dann, wenn du es am wenigsten erwartest.

 

Illustrationen: Maciej Nadobnik

 

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Charles Landry

Advisor, speaker, author (UK)

Charles Landry works with cities around the world to help them make the most of their potential. He is widely acclaimed as a speaker, author, innovator and he facilitates complex urban change projects. An international authority on using imagination in creating self-sustaining urban change Charles has advised cities or given talks in over 60 countries. He helps shift how we harness possibilities and resources in reinventing our cities and his Creative City concept has become a global movement. His book The Art of City Making was recently voted the 2nd best book on cities ever written by the planning website. His most recent book is The Civic City in a Nomadic World. Other books cover the measurement of urban creativity, the digitized city, urban fragility and risk, the sensory experience cities and interculturalism.
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Briar Levit

Designer & Filmmaker (Portland, Oregon)

Briar Levit is an Assistant Professor at Portland State University, and graduate of Central St. Martins College of Art & Design. Originally from the California Bay Area, her graphic design practice consists primarily of page design, with a special interest in independent magazine publishing, small presses, and walking guides (which she has self published). Most recently, she completed her biggest project to-date—directing and producing the feature-length film, Graphic Means: A History of Graphic Design Production.
Dina Amin

dina Amin

Designer (Cairo, Egypt)

dina Amin is a designer from Cairo, Egypt. She completed her B.A. (Hons) in Industrial Design in Malaysia. Although trained as a Product Designer, dina loves to explore the intersections between various disciplines. In 2016, dina started a side project called ‘Tinker Friday’ on Instagram, where she combined her passion for product design and stop motion with her views on consumerism.
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Frank Rausch

User Interface Designer, App Developer, and Typographer (Germany)

Frank Rausch is a user interface designer, app developer, and typographer. He is co-founder and managing partner at Raureif, an award-winning interaction design consultancy based in Berlin. In his work, Frank Rausch explores how technology and code can shape high-quality digital reading experiences. He teaches app design and typography at design schools in Austria, Denmark, Germany, and Switzerland.
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Sonja Knecht

Writer (Berlin)

Sonja Knecht was born in Indonesia, grew up in Venezuela and is deep-rooted in Deutsch. She studied English, Spanish and humanities; explorations as a graphic artist led her to typography and to what she loves most: text. Text as language, designed. Sonja was Erik Spiekermann’s Director Text (2008–2015 at his corporate design agency in Berlin) and built up the 30-people editorial team for TYPO Talks (from 2011). As an expert in corporate text and brand language, she works with clients such as the Bauhaus Archive/Museum for Design, Bosch, Deutsche Bank, DHL, Messe Frankfurt, Oxfam. Sonja gives text and editorial workshops and teaches at Berlin University of the Arts as well as at Burg Giebichenstein University of Arts and Design Halle.
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Toshi Omagari

Toshi Omagari is an Advanced Typeface Designer at Monotype, based in London, UK. He studied typography and typeface design at Musashino Art University in Tokyo where he graduated in 2008, and went on to join MA in typeface design at University of Reading in 2011. Since he joined Monotype, he has released typefaces such as Metro Nova and Neue Haas Unica, while also working on custom typefaces for clients such as H&M and Sir Quentin Blake. He has also been involved in many aspects of multilingual typography and font development, including typefaces on various scripts including Greek, Cyrillic, Mongolian, and Tibetan. His typefaces were awarded the Type Directors Club in New York in 2013 (with Metro Nova), Modern Cyrillic in 2014 (with Marco Cyrillic), and European Design Award in 2016 (bronze, with Cowhand).