Eine Flughafen-, keine Bahnhofsschrift! [Update]

Abflug und Landung: Die Schrift für den neuen Flughafen Berlin Brandenburg International

 

TYPO-2011-Vortrag von Alexander Branczyk

»Ist das jetzt Arial oder Helvetica? Keine Ahnung.« Über diese Art typografischer Weltfremdheit kann der TYPO-Berlin-Besucher nur milde lächeln. Natürlich kennen wir die Unterschiede zwischen diesen beiden Schriftarten: Am G, am R, am C, um nur einige zu nennen … ein Dutzend Websites widmet sich ausführlich der Anatomie dieser beiden Schritarten. Dass der flapsige Spruch aus dem Munde eines Vortragenden stammt, verwundert zunächst. Doch Alexander Branczyk darf das. Er hat die Schrift für den Berlin Brandenburg International Airport entwickelt.

Um diese ging es zunächst gar nicht. Stattdessen stellte er andere Projekte vor, zum Beispiel ein Haus in Berlin Marzahn, das aus Buchstabenreihen konstruiert ist. »Christlicher Garten« heißt der Bau, über den Fontblog schon mehrfach berichtete, und er ist zweifellos einen Besuch wert … Aber sollte nicht die neue BBI-Schriftart präsentiert werden? Das sah Branczyk dann auch irgendwann – fast widerwillig – ein und legte los.

Seine Büro Xplicit ist auf dem Typografiegebiet nicht unerfahren, schließlich entwickelte es die typografischen Komponenten im Spardabank- und Duravit-Erscheinungsbild. Im Vergleich mit diesen Projekten erscheint die Aufgabe, einen Flughafen mit Buchstaben zu bestücken, ungleich verantwortungsvoller, weshalb das Publikum zunächst einen Einblick in die Recherchearbeit bekam. Fazit: Viele Flughäfen sehen gleich oder zumindest ähnlich aus: Frutiger, Arial und Helvetica dominieren schwarz auf gelbem Grund das Bild der Airport-Leitsysteme.


Dagegen sträuben sich Branczyk und seine typophilen Mitstreiter von Xplicit. Sie finden, dass es an der Zeit sei, die omnipräsente Frutiger abzulösen. Die Uniformität der internationalen Airports widerstrebt ihnen, sie wollen Individualität. Nicht eine Schrift für alle Flughäfen, sondern passende für jeden einzelnen.

Dennoch begann die Arbeit mit der Frutiger, schließlich ist diese für ihre Lesbarkeit bekannt und wurde ursprünglich von ihrem Namensgeber für den Charles de Gaulle Flughafen in Paris entworfen. Dann jedoch begannen bei xplicit die Überlegungen, wie man die Schriftart an die Umgebung Berlin-Brandenburg anpassen könne. Zunächst fiel das Flughafengebäude selbst ins Blickfeld: Dieses empfängt den Reisenden mit einer geometrisch-kantigen, konstruktivistischen Architektur. Daran solle sich auch die Schrift orientieren, fand xplicit und entschied sich gegen Verspachtelungen, gegen ein zu weiches, organisches Erscheinungsbild.

Stattdessen sollte die neue Type aufrecht, konstruiert, gerade und schlank wirken: Leichtigkeit ausstrahlen, als würde sie fliegen. Unter diesen Gesichtspunkten wurden die Buchstaben geöffnet, verschlankt, weniger bauchig konzipiert. Desweiteren ließ Xplicit typographische Feinheiten wie die tz-Ligatur der Berliner Straßenschilder einfließen – ob solche Details es letztendliche in die finale Schrift geschafft haben, durfte oder wollte Branczyk nicht verraten. Die Präsentation des gesamten Corporate Design findet erst am 3. Juni dieses Jahres statt.

Eine weitere Besonderheit findet sich bei der Anbringung des Leitsystems im Flughafen: Hier wird weitestgehend auf hängende, applizierte Schilder verzichtet. Stattdessen werden die Lettern direkt auf den dunklen Holzvertäfelungen des neuen Airports angebracht. Dadurch integriert sich die Schrift besser, sie wird Bestandteil der Architektur.

Ein Vortrag über eine einzige Schriftart – das gibt es nur auf der TYPO-Konferenz. Die rund 200 Zuhörer, darunter der Schriftenpapst Erik Spiekermann in der ersten Reihe, wissen selbstverständlich alle, welche Arbeit in der Erstellung einer solchen Schriftfamilie steckt, die sowohl für das Leitsystem, die Drucksachen wie auch die Website von BBI geschaffen wurde. Der breiten Masse hingegen, die Arial und Helvetica tatsächlich nicht unterscheiden kann, ab dem kommenden Jahr jedoch tagtäglich durch BBI strömen und vom durchdachten Leitsystem profitieren wird, bleibt dies verborgen.

[Update] Die Abbildungen wurden am 10. Juni 2011 nachträglich hinzugefüht; Quelle: www.berlin-airport.de

2 Comments

  1. Pingback: Fontblog | Exklusivschrift für Berlin Brandenburg International

  2. Borneo Flughafen|September 8, 2011

    Ich glaube der Otto-Normalverbraucher unterschätzt die Komplexität hinter diesem Thema. Lesbarkeit ist das oberste Ziel aller flughäfen, viele kommen dabei aber auch die gleiche Lösung. Hier mit einem individualem Konyept zu kommen finde ich ganz Klasse, ich habe volles Vetrauen!

    LG Rolf

Alexander Branczyk

Alexander Branczyk

Alexander Branczyk is the designer of a great number of CI fonts for cultural and commercial clients. He studied »for a long time« at the Offenbach Academy of Art and Design and was at the Bauhaus University in Weimar for 4 semesters (as Prof). After 7 »extra fat« years with Erik Spiekermann, he set up xplicit GmbH in 1994 with Thomas Nagel and Uwe Otto. His attempt to outrun the rest at TYPO with his typosium »TypograVieh lebt« (The typographic beast is alive and kicking) failed! And so, he pulled on his boxing gloves and attacked Spieker-/Weidemann and Fidel P. and was declared Fontfight Champion.