Marke neu denken – das Brand-Day-Kompaktseminar

Die digitale Gestaltung von Marken steht in einer Zeit des Umbruchs vor großen Herausforderungen. Jürgen Siebert, Erfinder des Brand-Talks-Formats, das Agentur und Unternehmen gemeinsam für 30 Minuten auf die Bühne holt, um Branding-Projekte vorzustellen, eröffnet die Seminarreihe im Berliner Meistersaal. David Bowie, U2 und Depeche Mode fanden in diesem Aufnahmestudio ihre Form. Das Brand-Day-Seminar bereitet Marken und Agenturen eine gemeinsame Bühne, um dem Publikum Erfahrungen und Lösungen vorzustellen, und geht in Deutschland, der Schweiz und Österreich auf Tour. Nächster Stopp ist Stuttgart.

Michael Grübbeling eröffnete den Brand Day mit einem Blick in die Zukunft der Markenkommunikation

Der Hamburger Creative Strategist und Eröffnungssprecher Michael Grübbeling beschreibt einen Paradigmenwechsel, weg vom Besitz hin zum Nutzen der Dinge. Die digitale Disruption wird bestehende Produkte und Dienstleistungen verdrängen. Ganze Projekte kann man bereits heute in die Crowd stellen und gemeinsam finanzieren und betreiben. Marken wie Audi reagieren und legen alle Design-Schnittstellen in die Cloud. Budgets wandern an die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunde. Supermarktkassen ersetzen Banken. Das Handy beginnt, unsere Gesundheit zu diagnostizieren. Internetkurse ersetzen die Bildung im Klassenraum. Der Brand Relevance Index (Prophet, 2016) sagt voraus, dass nur die Marken überleben, die pragmatisch, kreativ, innovativ und außerordentlich kundenorientiert auftreten. Für Unternehmen und Agenturen gleichermaßen macht dies neue Denkweisen erforderlich.

Katrin Niesen und Norbert Möller, Peter Schmidt Group: Fallstudie Penny – eine einfache Kennzeichnung muss nicht billig aussehen

Supermärkte und Discounter sind eine deutsche Spezialität, der deutsche Discountermarkt ist heiß umkämpft – ein guter Nährboden für Innovation. Das Redesign des Discounters Penny stellten Katrin Niesen und Norbert Möller von der Peter Schmidt Group vor. „Unsere Partner waren so gut, dass sie alle aufgestiegen sind und heute nicht hier sein können“, eröffnet Norbert Möller die Fallstudie. Die Zusammenarbeit begann vor fünf Jahren und beinhaltete das Erscheinungsbild des Marktes und das Branding für 160 Eigenmarken. „Auf den Penny-Bons standen oft nur Alkohol und Zigaretten. Das wollten wir drehen“, beschreibt Katrin Niesen die Situation vor dem Rebranding. „Danach musste alles passen: Verpackung, Schrift, Regale. Wir wurden der sympathische Discounter in der Mitte der Konsumenten. Die Leute sollten günstig einkaufen und Spaß haben.“ Auftritt: Lettering und knallige Farben. „Dem Konsumenten war das zu mutig, dem Auftraggeber zu sehr Karneval.“ Der Vorstand war voll involviert und hat schnell entschieden. So blieb die Stimmung gelöst. Am Ende wurde eine einfache Kennzeichnung gefunden, die nicht billig aussah. 2014 und 2015 wurde Penny umsatzstärkster Discounter. Aktuell lädt die Lieblingsnachbar-Kampagne dazu ein, sich zu besuchen.

Programmdirektor Jürgen Siebert mit Janine Nemec, oddity, und Kathrin Knapp, dm: Fallstudie dm-drogerie markt – der soziale Weg der Marke

Die dm-Drogeriekette ist eine Erfolgsgeschichte, zum einen aufgrund der Weltanschauung ihres Gründers Götz Werner, zum anderen wegen ihres bereits verankerten Brandings. Wie aber erreicht man die Millenials? Janine Nemec von der Agentur oddity und Kathrin Knapp vom dm-drogerie markt berichten über den sozialen Weg der Marke in ihrer bereits achtjährigen Zusammenarbeit. dm begrüßt täglich knapp 2 Millionen Kunden in 2000 Filialen – die meisten weiblich – und wurde Anfang des Jahres auf Platz eins der sinnstiftenden Marken in Deutschland gewählt (Havas Meaningful Brands® 2017). Der Mensch steht im Mittelpunkt, als Kunde und als Mitarbeiter. Diskussionen über Haltung und Menschenbild gehören zur Tagesordnung. Kathrin Knapp beschreibt das Online-Engagement von dm: „Auf den Social-Media-Kanälen schauen wir, wo die Kunden sind und wo sie sich mit uns austauschen wollen. Wir sind nicht stolz auf 37 Millionen Reaches. Auf 1,5 Millionen Kontakte sind wir stolz. Reichweite kann man kaufen. Kontakte sind echt.“ In den Social-Media-Kanälen hat das Team angefangen zu fliegen, als sie die Branding- und Design-Manuals beiseitegelegt haben. Sein statt Schein. Echt sein!

„Social ist mehr als ein Add-on, das man so mitmacht.“

Auf interaktive Bewerbungs-Microsites folgten gescriptete Movies mit Auszubildenden. Heute übernehmen Azubis den Snapchat-Kanal und berichten live aus ihrem Tag. Social Media steht bei dm für einen Perspektivwechsel. Nicht die Marke ist überall präsent, sondern das Thema. „Wir geben die Antworten, weil wir kompetent sind, und setzen auf organische Reichweite«, so Kathrin Knapp und gibt dann zu: »Beim Marketing mit Influencern habe ich den Effekt unterschätzt. Die von Bloggerinnen zusammengestellten Produktboxen hatten eine organische Reichweite von 20 Millionen Aufrufen. Unsere Website brach zusammen. In Stunden waren die 2.500 Boxen online ausverkauft, 180.000 innerhalb von zwei Tagen in den Filialen.“ Janine Nemec schließt: „Social ist mehr als ein Add-on, das man so mitmacht.“

 

Hendrik Weber beschreibt die Gestaltung der Schriftfamilie von Bentley

Die Rolle von Schriften für unterschiedliche Branding-Projekte beleuchten Patrick Märki vom KMS Team und Hendrik Weber, Corporate Font Designer und Type Director für das Schriften-Entwicklungsteam von Monotype Deutschland. Märki erklärt, dass er schon mehrfach auf Exklusivschriften im Branding zurückgegriffen hat: „Warum KMS gerne mit Spezialisten wie Hendrik Weber arbeitet? Wir sind detailverliebt, nicht Mainstream. Differenzierung gelingt mit Schrift. Typefaces sind wie Gesichter alle formal gleich, haben aber ihre individuellen Unterschiede. Im besten Fall entspringt die Schrift aus dem Kern der Marke und spiegelt die Unternehmenskultur wider.“ Dies gelang beim Autohersteller mit einer Schriftfamilie, die die kristallinen Elemente der Corporate Identity aufgreift und perfektioniert.

„Es sind die Grauwerte, auf die es ankommt.“

Auch wird zu Exklusivschriften gegriffen, weil sie auf der ganzen Welt funktionieren müssen und zum Beispiel eine europäische Schrift an die japanische Achse angeglichen wird. Hendrik Weber beschreibt die Entwicklung der Exklusivschrift für den britischen Sportwagenhersteller Bentley: „Der Kunde – Ingenieure mit modernem Technikverständnis; der Bentley-Fahrer – ein Fan traditioneller Autowerte. Die Typografie? Englisch. Tradition und Moderne? Es sind die Grauwerte, auf die es ankommt.“ Weber verband Bentleys Designsprache Powerline mit dem englischen Schriftklassiker Gill Sans zu einer typografischen Formstudie für die Bentley-Exklusivschrift. So liegt dem i-Punkt das Karo aus dem Bentley-Kühlergrill zugrunde, den Buchstaben-Schultern die Kurven der Karosserie. Abstimmungsrunden mit Agentur, Auftraggeber und Entwerfer bewiesen bald: Wenn es nicht exklusiv gestaltet wird, ist es nicht individuell genug.

 

Jürgen Siebert und Heinrich Paravicini von Mutabor: Fallstudie Bundesliga DFL – die farbübergreifende Formsprache muss ihren eigenen Werkzeugkasten mitbringen, um überall sofort auf Sendung zu gehen 

Das Runde muss ins Eckige. Die Bundesliga DFL vertritt die Interessen von 36 Fußballvereinen und verwertet deren Rechte am Bild. Seit 2010 entwickelt die Hamburger Agentur Mutabor die internationale und digitale Corporate Identity für die Medienmarke. Mutabor-Chef Heinrich Paravicini beschreibt die dezentralen Strukturen bei Vereinen und Medienpartnern und einen konsistenten Markenaufbau als Herausforderung. Auch die über Jahre ausgeschlossene Anpassung des Logos zehrte an den Nerven der Agentur. Entwickelt wurden eine farbübergreifende Bildsprache und für TV-Übertragungen ein Toolkit für Trailer, die weltweit jeder Fernsehsender individuell einsetzen kann. Für Mobiltelefone wurde der DFL-Font für die Darstellung auf Displays optimiert – basierend auf einem quadratischen Raster. Die Ausgestaltung der Punzen sorgte dafür, dass die Schrift gut verkleinert werden kann.

„Beharrlich sein und gemeinsam mit dem Kunden die Lösung finden, die er braucht.“

Nach Jahren dann doch. Das Logo konnte von den Einschränkungen befreit werden, die die überholte 3-D-Optik mit sich gebracht hatte, und ist nun frei skalierbar. Der einarmige Torschütze erhielt eine situative Überarbeitung und basiert nun auf dem Weltmeistertor von Mario Götze 2014 gegen Argentinien. Paravicinis Fazit: „Man muss nicht immer schneller sein als der Kunde, sondern beharrlich sein und gemeinsam mit dem Kunden die Lösung finden, die er braucht.“

Cristina Espinosa, Gómez-Acebo & Pombo, und Fernando Sagastume, Interbrand Madrid: Fallstudie GA_P – das Rebranding füllt die Lücke

Beharrlichkeit in einer Markensituation mit eingeschränkter gestalterischer Freiheit kennzeichnet auch das letzte Projekt, das auf dem Brand Day vorgestellt wurde: Fernando Sagastume, Interbrand Madrid, und Cristina Espinosa, Gómez-Acebo & Pombo (GA_P) präsentierten das Rebranding für eine spanische Anwaltskanzlei. Gerade abgeschlossen, erhielt das Projekt bereits mehrere Designpreise, darunter den Reddot Design Award. Die Financial Times bezeichnete Gómez-Acebo & Pombo als innovativste Anwaltskanzlei Europas.

Eine präzise Analyse ging dem Projekt voraus. Fernando Sagastume fasst das Vorgehen zusammen: „Filling the GAP. Verstehen, infrage stellen und verändern – diese drei Stationen gingen dem Rebranding voraus. Unsere wichtigste Erkenntnis zeigte, dass Farben und Form des visuellen Auftritts eine Kälte vermittelten, die das Engagement der Mitarbeiter beim Umgang mit ihren Klienten nicht widerspiegelte.“

Die Veränderungen mussten mit dem komplizierten Ökosystem spanischer Rechtsvertreter in Einklang stehen, dort tummeln sich direkte Konkurrenten, aufstrebende Newcomer und Big Player. Keinesfalls durfte die neue Markenkommunikation zu einem Prestigeverlust führen. Die Veröffentlichung in einer Universitätszeitschrift führte zum Durchbruch. Kernbotschaft: Hinter einem guten Anwalt steckt ein guter Mensch. Das Logo erhielt mit modernen Fonts und zeitgemäßem Satz eine Überholung und die Farbgebung mit hellem Gelb eine Auffrischung. Der Unterstrich ersetzte das Et-Zeichen und sorgt im Ergebnis, in einer ausbalancierten Mischung aus Analyse, Kreativität und Wortspiel, für eine stimmige Gesamtwirkung.

 

Der Brand Day wird als Wanderseminar in verschiedenen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz halt machen. Weitere Informationen und Termine bitte der TYPO-Day-Homepage entnehmen.

– – –

Links: