Nach eigenen Erfahrungen mit langweiligen Projekten kam ihr die Idee, einen eigenen, neuen Unterricht aufzubauen. Da die Auflagen an Lehrstätten oft nicht den benötigten Freiraum bieten, der für innovativen Unterricht nötig wäre, nimmt sie die Organisation zu ihrem eigenen Unterricht auf.
Die Grundidee zum Type Camp ist geboren.
Als Beispiele für Ansätze der innovativen Schriftentwicklung nennt sie zum einen die Restraint, eine Schrift, die mit der üblichen horizontalen Laufrichtung bricht und ähnlich zum Gesellschaftsspiel „Scrabble“ horizontal und vertikal läuft. Zum anderen zeigt sie die „wetterfühlige“ Twin, eine Schrift, die kaltem, warmem oder windigem Wetter entsprechende Schnitte anbietet. Dies sind Entwicklungen, die voraussetzen, dass jegliche Hemmungen im Gestaltungsprozess fallen gelassen werden und dadurch die Entdeckerkultur gefördert wird. So eine freie Gestaltung der Aufgabenstellung wünscht sich Shelley Gruendler als Grundvoraussetzung im Unterricht.
Wie inspirierend ein Aufenthalt in einem der Type Camps sein kann, erahnt man aufgrund der sprühenden Lebensenergie und Begeisterung, mit der die Designerin spricht. „Sei leidenschaftlich!“, fordert Shelley Gruendler. Durch Leidenschaft komme viel mehr Energie in eine Gruppe von Menschen, als durch das Wissen, das geteilt wird. Sie zeigt Bilder einiger Workshops, in denen die Teilnehmer zuallererst dazu animiert wurden, miteinander ins Gespräch zu kommen, um einander zu verstehen und dann auf den Arbeiten der anderen aufbauen zu können. Auf dem Prinzip der Flüsterpost beruhte die sehr schöne Aufgabe hierzu, sich eine beliebige Glyphe auszusuchen und sie dem Gegenüber zu umschreiben. Der erste Aufgaben-Partner zeichnete nach der Beschreibung, der nächste umschrieb den so entstandenen Buchstaben dem nächsten usw. So kamen die witzigsten Buchstaben heraus und das Spiel war so animierend, dass die Teilnehmer aus verschiedenen Ländern später sogar über Skype weiterspielten. Dieses Beispiel weist schon darauf hin, wie wichtig das multikulturelle Verständnis ist, auch in der Typografie. Als Gegenbeispiel zeigte sie Bilder, wie multikulturelle Typografie nicht aussehen soll.
Damit multikulturelle Typografie eben so nicht aussieht, ist es der Dozentin wichtig, die jeweilige Kultur in die Gestaltung mit einzubringen.
So kommst sie zu dem Teil des Vortrags, den eigentlich ihre Kollegin Rathna Ramanathan halten sollte, die aber kurzfristig zu ihrem Bedauern nicht zur Typo anreisen konnte. Im von Ramanathan vorbereiteten Vortrag teilt Gruendler Bilder und Erfahrungen aus dem Type Camp in Indien mit dem Typo-Publikum. Die Teilnehmer am Type Camp in Indien machten sich mit der reichen indischen Kultur vertraut und übten, das tamilische Alphabet zu schreiben. Wie reich die Sprach- und Schreibkultur ist, zeigt Ramanathan anhand der Rückseite einer Zwei-Rupien-Banknote, auf der der Nennwert in 15 verschiedenen Sprachen (somit auch Schriften) aufgedruckt ist. Projekte im Type Camp India waren beispielsweise, sich eines tamilischen Buchstabens anzunehmen, diesen in Anwendung vor Ort zu finden und ihn zu zeichnen und zu malen. In einem anderen Projekt zeichneten die Teilnehmer „Kollams“, Zeichnungen, die gewöhnlich mit Reispulver von indischen Frauen vor ihren Häusern angefertigt werden – ein weit verbreiteter Brauch in Südindien.
Das Fazit dieses inspirierenden Vortrags: Man muß immer weiterlernen, als ob man nichts wüsste!
Wer an einem Type Camp teilnehmen möchte, kann sich am Stand auf der TYPO weitere Informationen einholen und nächste Termine auf der Website einsehen. Es gibt auch ein Gewinnspiel, bei dem man einen Zuschuss zu den Kursgebühren gewinnen kann.