Mateo Kries, der seit 2011 Direktor des Vitra Design Museums ist, eröffnet die Diskussionsrunde mit einer kurzen Vorstellung der beiden Herren, die je links und rechts von ihm auf der großen Hauptbühne platziert sind. Er selbst ist der Moderator dieser Runde.
Zu seiner Linken sitzt Erik Spiekermann, der hier nicht Typopast genannt werden möchte. Er selbst sagt: „Ich bin Gestalter und Typograph – und alt.“ Erik ist nicht nur für seine zahlreichen, guten Designs und Schriften bekannt, sondern auch, weil er Charakter und Meinungsstärke hat. Eine gute Voraussetzung für eine Gesprächsrunde zu diesem Thema.
Erik Spiekermann
Art Historian, Information Architect, Type Designer, Author (Berlin, San Francisco, London)
Konstantin Grcic
Industrial Designer (Munich)
Mateo Kries
Director / Vitra Design Museum (Weil am Rhein)
Konstantin Grcic, rechts von Mateo, ist Möbel- und Produktdesigner und betreibt seit mehr als 20 Jahren ein Studio in München. Eines seiner bekanntesten Werke ist der ‘Chair One’. Seine Arbeiten zeichnen sich durch Ecken und Kanten aus – sie sind keine leichten Konsumgüter. Steckt dahinter eine spezielle Haltung?
Worum kann es also in dieser Runde gehen?
Der starke Ausdruck von Meinung und Haltung verlief in den letzten 100 Jahren im Designbereich zyklisch. Die Phasen des ‘Radical Designs’ und der Expression von Ideologie sind vorbei. Gibt es heute überhaupt individuelle Positionen?
Die Runde ist sich hier zuerst einig: „Ja!“ Begriffe wie Social Design, Critical Design und Design Studios, die klar zu einem Manifest stehen, sind bekannt und setzen sich mit einer Art Haltung auseinander. Doch die Balance zwischen Dienstleistung für den Auftraggeber und dem Setzen einer individuellen Handschrift ist schwer zu halten.
Hilft eine charakteristische Haltung – oder ist sie störend?
Erik ist der Meinung, dass Haltung ruhig auch als Rückgrat bezeichnet werden kann, man soll standhaft sein. Doch auch er findet den Grad schwer: „Zum einen sind wir Dienstleister und wollen den Auftraggeber zufrieden stellen. Auf der anderen Seite sind wir für diesen oft Künstler, die nicht wirklich ernst genommen werden.“ Doch nur durch eine gewisse Haltung unserer Arbeit gegenüber können wir dieser Seele geben. Qualität gewährleisten. In Zeiten, in denen es schwer ist, gute Leute zu finden, und die Konkurrenz groß ist, ist Haltung eine Überlebensfrage. „Das muss der Auftraggeber auch mal aushalten und uns vor allem vertrauen und respektieren“, ist Erik überzeugt. Seit Jahren hat seine Firma Edenspiekermann ein Manifesto.
Konstantin geht es nicht so sehr um Haltung, eher um Struktur. Er findet es schwer, gerade bei großen Auftraggebern sein Haltung zu bewahren, da es hier oft um große Summen und langwierige Jobs geht. Er arbeitet seit Jahren in einem kleinen Studio, für kleine Auftraggeber. Hier fällt es ihm leicht, die Dinge so zu führen wie er es für richtig hält. Konstantin betont: „Man ist mit seinem Auftraggeber hier sehr eng und muss in einem Dialog arbeiten, zuhören und im richtigen Moment auch mal darauf bestehen, das umzusetzen, was das Beste für das Projekt ist.“
Kann man Haltung lernen?
Konstantin glaubt, dass man schon eine Veranlagung zu einer bestimmten Haltung haben kann. Erziehung, Schulbildung und soziales Umfeld spielen hierbei eine große Rolle. Er entwickelte eine Haltung während seiner Schreinerlehre in England. Er entwickelte ein Verständnis, das Haltung mit einer ‘Attitude of mind’ beginnt – einer Einstellung gegenüber sich selbst und seiner Arbeit. Wie stehe ich morgens auf? Wie gehe ich zur Arbeit? Soetwas lernt man nicht in der Schule. Haltung kann man halt nicht weitergeben wie die zehn Gebote. Man kann es zwar vorgelebt bekommen, aber erlernen muss jeder sie allein. Dazu gehören die Fähigkeiten, nein sagen zu können, sich auf andere Dinge einzulassen – und geistiges Wachstum.
„Erik, wie beschreibst du Haltung?“
„Man steht ja nicht einfach auf, und hat Haltung.“ Erik beschreibt sich als ‘Nölkopf’. Schon in Kindheit und Jugend konnte er das ‘Maul’ nicht halten. Er stand immer im Klassenbuch, wurde zum Schul- und später zum Studienrat gewählt, selbst in seiner Abwesenheit.
Natürlich habe er eine sehr starke Haltung, aber: „Wer sich in die erste Reihe stellt, muss wissen, dass man dort auch mit Dreck beworfen werden kann.“ Ihm wäre es lieb, wenn er öfter nein sagen könnte. Was ihn ausmacht, sei sein Hang zu Neugier. „Ich bin krankhaft neugierig.“
Mateo diskutiert weiter mit Erik, ob Designer heutzutage pragmatischer sind und deshalb oft keine Haltung mehr annehmen wollen. Erik beschreibt, dass es ja zum Beispiel in den 1970er Jahren noch keine großen Designfirmen gab. Nur die Werbeagenturen waren wirklich groß. Da konnte man als Designer noch künstlermäßig in den Tag hinein leben. Als die Branche wuchs, gab es auf einmal mehr Organisation und Personalpolitik. Er sagt lieber einem eventuell nicht so attraktiven Auftraggeber zu, wenn dies sicherstellt, dass alle seine Mitarbeiter weiterhin arbeiten können.
Konstantin bewahrt Haltung
„Das Ideal als Industriedesignstudent ist es, für die Masse zu arbeiten. Das habe ich in 25 Jahren nicht geschafft.“ Sein Studio erschafft vor allem Möbel, die in kleineren Produktionszahlen umgesetzt werden. Er sei ein Designer, der eher für die Nische gestaltet. Von dort nehmen die Dinge ja weiterhin Einfluss. Sein Begriff von Haltung definiere sich vor allem durch Unabhängigkeit. Für ihn ein wahrer und wichtiger Begriff – im Leben und im Beruf. „Mein Büro war immer klein, meine produzierten Stückzahlen waren immer klein. So bleibt die Struktur klein, ich bin weniger festgelegt und habe dadurch mehr Freiheiten.“
Konstatin wurde besonders durch seinen Kreation des Stuhls ‘Chair One’ bekannt. Doch das heißt nicht, dass alle seine Produkte so eckig und kantig sind. Trotzdem drückt das natürlich seine Haltung aus, denn für ihn sind seine Schöpfungen sein Ausdrucksmittel. Hier kann er wie ein Künstler oder Schriftsteller sehr weit in seiner Ausdrucksweise gehen. Er will provozieren. Dass ‘Chair One’ unbequem ist, ist gewollt und ernst gemeint. Es ist eine interessante Art des Sitzens und dies stelle er dadurch zur Diskussion.
Designer wollen die Welt verbessern
Kann man in der Masse, oder eher mit einem Nischenprodukt mehr Einfluss nehmen? Erik findet, dass man sich zwar in der Nische besser äußern kann, aber dass die grafische Arbeit doch sichtbar sein sollte. Er habe immer Freude daran gehabt, dass Menschen, die ihn nicht kennen, tagtäglich mit seiner Arbeit in Kontakt sind. Durch Arbeiten für die Deutsche Bahn und zahlreiche Schriften habe er Einfluss auf die visuelle Kultur des Landes gehabt, und hat sie immer noch. Er selber verwende seine Schriften ja nicht, er sei ja irgendwie ein bisschen wie Rumpelstilzchen. Er nehme so mehr Einfluss, als wenn überall sein Name genannt wird. Seine Arbeiten sind Gegenstand des täglichen Gebrauchs.
Konstantin stimmt zu. Die Leute in seiner Nische kennen zwar seinen Namen; während die Produkte aber mehr Einfluss nehmen, bleibt er unbekannt. Sein Produkt ist Mittelpunkt, nicht er selbst.
Die drei könnten noch lange diskutieren, doch die Zeit fliegt und plötzlich muss schnell ein Abschluss gefunden werden: Wie generieren wir als Designer nun Haltung, was können wir uns erlauben? Erik glaubt, dass man zunächst sich finden, dann aber auch akzeptieren sollte. Man ist wie man ist.Konstantin beendet die Runde mit einem Zitat von Kurt Weidemann, das auch hier den Abschluss bilden soll:
„Der Künstler macht was er will, der Designer will was er macht.“
Um Haltung und Design-Kritik geht es auch in Jan Sowas Vortrag ‘Die Dialektik des Designs oder Die unerträgliche Hartnäckigkeit der Avantgarde’ – hier nachzulesen.
AB