Ralf Herrmann: Speed Reading

»Speed Reading – Über die Lesbarkeit von Schriften und Verkehrszeichen«, so der Titel des Vortrags von Ralf Herrmann, den die Meisten wahrscheinlich von dem typografie.info-Forum kennen. Der Web-, Grafik- und Typedesigner hat in Weimar an der Bauhaus-Universität studiert, schreibt heute gerne typografische Fachbücher und gibt das Typografie-Magazin TypoJournal heraus.

Leitsysteme sind eine der spannendsten Bereiche im Grafik Design, doch Verkehrsleitsysteme sind dabe meist außen vor, werden kaum beachtet. Schrift ist dabei nur ein Puzzleteil eines Leitsystems. Wie kam Ralf Herrmann überhaupt auf das Thema Verkehrszeichen? Alles begann vor vier Jahren bei einem Urlaub in Nordamerika, wo es einen Schriftwechsel (von FHWA E Modified auf Clearview Hwy) gab. Er hat sich gefragt, wie eine Schrift gestaltet sein muss, damit sie auf Schildern optimal lesbar ist und was Lesbarkeit selbst überhaupt ist. Lesbarkeit ist unter typografischen Gesichtspunkten die grafische Darstellung der Schrift, was eigentlich eine etwas schwammige Aussage ist; Generell heißt es: Gemischter Satz ist besser lesbar als Versalschreibweise, Serifenschriften sind besser lesbar als serifenlose Schriften. Nur, warum werden auf den Verkehrszeichen dann keine Schriften mit Serifen verwendet? Eine allumfassende Definition, was Lesbarkeit ist, gibt es nicht. Ralf Herrmann hat ein Zwiebelschichtenmodell entwickelt bei dem er in Buchstaben- und Textebene unterscheidet. Die Buchstabenebene, welche Lesbarkeit, Erkennbarkeit und Unterscheidbarkeit beinhaltet, kann zur Lesbarkeit von Schrift führen. Die Textebene hingegen bezieht sich auf die Lesefreundlichkeit und alles, was nicht direkt der Erkennbarkeit dient.
Der Wunsch nach Orientierung ist bei den Menschen tief verwurzelt, schon früh standen entlang der Wege Meilensteine. Diese haben nur gesagt, wo man sich befindet, nicht aber in welche Richtung es geht. Diese Auskunft geben Verkehrszeichen. In Deutschland schwört man seit den 30er Jahren auf den Einsatz der streng nach einem Raster aufgebauten DIN-Schriften. Was vielleicht nicht jeder weiß: Eigentlich kann jede Gemeinde selbst entscheiden, welche Schrift sie auf ihren Schilden verwendet (Beispiel: Bamberg). Auf polnischen Verkehrsschildern sind geometrische Schriften, also Schriften, die auf geometrische Grundformen heruntergebrochen werden können, zu finden. Ebenfalls in Schweden. Seit 10 bis fünfzehn Jahren ist beim Einsatz von Schriften bei Verkehrszeichen ein Wandel zu beobachten: Digitale Schriften (»Druckschriften«) werden vermehrt eingesetzt, wie etwa in Amerika. Das Licht der Scheinwerfer wird von retroflektierenden Formen zurück geworfen, um die Lesbarkeit zu optimieren. Ein weiteres interessantes Beispiel sind die Niederlanden mit ihren »fingerpost-Schildern«, die alle eine feste Größe haben, unabhängig vom Text. In Deutschland hängt die Größe der Schilder von der Textmenge ab. Zusammenfassend ist also zu beobachten, dass im 20. Jahrhundert vor allem geometrische und rasterbasierte Schriften auf Verkehrsschildern zu finden waren. In den letzten Jahren wird mehr und mehr das Prinzip der Druckschriften auf die Schilder gebracht. Was bleibt ist das Problem mit dem variablen Leseabstand. Ralf Herrmann, der selbst mit Wayfinding Sans Pro eine Schrift für Leitsysteme entwickelt hat, hat eine Software programmiert, die zeigt, wie die gut oder schlecht die Schrift bei welchem Abstand zu lesen ist.
Der Designer stellte eine interessante Studie vor, die besagt, dass wir die Teile eines Buchstabens lesen, die von anderen Buchstaben abweichen. Sprich: die Ober- und Unterlängen werden besonders wahrgenommen. Man könnte meinen, dass Schriften mit dicker Schriftstärke besser zu lesen sind. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ralf Herrmann baut seine Schrift Wayfinding aktuell weiter aus, im Moment gibt es nur eine Betaversion. Er freut sich über Kunden, die ein Leitsystem mit dieser Schrift gestalten möchten. Weitere Informationen als in dieser Vortragszusammenfassung können in der aktuellen Ausgabe des TypoJournals rund um »Wayfinding und Lesbarkeit« nachgelesen werden. Es ist am Bücherbogen, dem Bücherstand auf der Typo, erhältlich.