Jim Rakete – Für bare Münze

Jim Rakete hat es eilig. Folgerichtig beginnt er seinen Vortrag mit den Worten, er wolle sich kurz fassen und nicht „beim Verschwinden des Fotopapiers“ beginnen. Stattdessen wählt er für den Einstieg eine Anekdote über ein zurückliegendes Treffen mit den Hohen der Politik. Als man ihn fragte, ob der damalige, barttragende SPD-Kanzlerkandidat tatsächlich der Richtige für diesen Job sei, fragte Rakete nach: ob der Herr denn bereit wäre, sich die Bartpracht abnehmen zu lassen. Der Gefragte verneinte, woraufhin wiederum Rakete verneinte: Der Kandidat sei auf keinen Fall der richtige.

Heute, Rudolf Scharping hat den Bart längst ab- und die Stimme tiefer gelegt, habe die SPD das gleiche Problem. Wieder ein SPD-Kanzlerkandidat, wieder ein Bart, wieder jemand, der die Kluft „zwischen verrauchtem Hinterzimmer und Weltläufigkeit“ zu schließen versuche. Und schon sind wir beim Thema des Vortrages: Dem Abgleich von Images.

Der „symbolische Schmuckbart“, das sei das derzeitige Hauptproblem der SPD, die Tatsache, dass der Bart genannt wird, bevor es zu einem sachlichen Austausch von Inhalten und Argumenten kommen kann. Auch der Redner, so gibt dieser offen zu, mag Becks Bart nicht. „Erinnert mich an einen alten Volksschullehrer.“

 


Jim Rakete vermisst die Wahrheit im Bild und Rakete schlägt den Bogen zu den wahren Fragen unserer Zeit.

Was wird aus einer so genannten Informationsgesellschaft, wenn sie den Backstagebereich für staatstragender hält als die eigentliche Bühne? Warum sieht man Schauspieler und Politiker häufiger in Talkshows als im Theater respektive im Bundestag? Warum wird heute alles auf den Unterhaltungswert heruntergebrochen? Eisbär Knut, stellvertretend für das „Leichte“ in einer „schweren“ Zeit, sei Platzhalter eines großen Garnichts. Er sei nur noch Image, gänzlich ohne Inhalt.

Rakete ist überzeugt, dass die aktuelle Generation wenig Spuren hinterlassen wird, da ihre Gestaltung in die Beliebigkeit und Belanglosigkeit abgleite. Früher sei das größte Kompliment gewesen, wenn etwas „ein Original“ war. Diese Originale hätten in Zukunft kaum noch eine Chance, weil sie im Photoshop ihrer Ecken und Kanten beraubt würden. Das zitierfähige Bildmaterial komme derzeit noch hauptsächlich aus der Vergangenheit, das neue Material sei flüchtig, die aktuellen Bilder glaubten wir uns selber nicht mehr.

Doch Rakete sieht Licht am Horizont: Für sein aktuellstes Projekt ging er zurück zu den Wurzeln, zog los, widmete seiner Aufgabe, Menschen zu fotografieren, die sein Leben begleitet haben, ein ganzes Jahr. Und er erfuhr Verblüffendes: die Leute stürmten die Galerie in einem Maße, das auch der Fotograf nicht erwartet hätte und rissen ihm die Bildbände aus den Händen. Rakete erklärt dies mit dem tiefen inneren Bedürfnis, noch einmal das „Echte“ sehen zu dürfen und vergleicht diese Erkenntnis einleuchtend mit der von MTV, dass auch der Musikkonsument sich in Zeiten von durchgestyltem Elektropop nach Unpluggedmusik verzehrt. Nach Handwerk. Nach dem Ursprünglichen.

Raketes Fazit? Auf die Strömungen unserer Zeit gebe es keine besser Alternative, als zu versuchen, es besser zu machen.

Text: Dörte Schütz, Foto: gerhardkassner.de

1 Comment

  1. Ralf-Jürgen Stilz|May 31, 2008

    Vielen Dank für den informativen Artikel. Habe den Bildband von Herrn Rakete erst kürzlich erworben und bin begeistert. Nieder mit den Blitzlichtgewittern in den Fotostudios und den platten TV-Zeitungsgesichtern! Her mit der ungeschminkten Wahrheit!

    Auf die Strömungen unserer Zeit gibt es keine besser Alternative, als zu versuchen, es besser zu machen.

    Toll!