Vier5 – follow me

Der Tisch ist mit Rosen in Wasserflaschen dekoriert und ein Hund sitzt auf einem der Rednerstühle, daneben die beiden Designer Marco Fiedler und Achim Reichert. Der Name Vier5 entstand aus der Hausnummer des ersten Studios. Die Beiden kennen sich seit dem Studium.


Fiedler und Reichardt mit eigener Tischdekoration

Fiedler zeigt sich erfreut über das vorgegebene Thema „Image“, normalerweise würden sie immer ihre Arbeit präsentieren. Jetzt nutzte Fiedler, der eigentlich den Vortrag alleine hielt, die Gelegenheit von seinem Bewusstsein als Designer zu berichten. Wichtig sei vor allem die eigene Positionierung. Das Image eines Designers entwickele sich insbesondere von außen und befinde sich in einem ständigen Prozess, so Fiedler. Vier5 wurde mit der Zeit bewusst, dass sie frei arbeiten, aber damit gleichzeitig Geld verdienen wollten.

Design ist für sie keine Dienstleistung im eigentlichen Sinne, sondern vorrangig eine künstlerische Arbeit. Der eigene Anspruch sei, dass man hinter den Projekten stehen kann und das die Arbeit Spaß mache. Man sei als Designer und Künstler öfters arbeitslos ohne es zu bemerken, man merke es nur daran ob man Geld oder kein Geld habe, zitiert Fidler einen seiner ehemaligen Professoren. Vier5 zogen nach Studiumsende nach Paris, zunächst ohne richtige Perspektive, doch nach kurzer Zeit tauchten plötzlich Kunden auf. Das Studio Vier5 in Paris besteht nach langen Jahren immer noch nur aus den beiden Gestaltern, zusammen mit einer Assistentin für Organisationsfragen und Fiedlers Hund. Sie wohnen auch noch in ihrer ersten Mini-Wohnung in Paris, von wo aus alles seinen Weg nahm. Beide wollen ihr Team nicht vergrößern, es geht ihnen um Qualität, nicht um Quantität in ihrer Arbeit.

Gestern fragte ihn eine Tischnachbarin, wo Vier5 den Vortrag halte. Fiedler sagte daraufhin scherzhaft, sie würden im kleinen Saal reden, im großen Saal wolle man sie nicht, er hätte sowieso das Gefühl, man wolle sie hier überhaupt nicht haben. Darauf sein Gegenüber, ja, es gäbe da ja Probleme, sie würden als unberechenbar gelten. Wer den Vortrag verpasst hat, darf traurig sein, Fiedler und Reichert gaben Einblicke in ihre eigenwillige, aber für sie zufriedenstellende Arbeitsweise als Designer. Sie lassen die Finger von dem, was sie nicht interessiert und fangen immer wieder, bei jedem neuen Projekt, von „vorne“ an. Ein Projekt muss eine Herausforderung sein. Weder der Kunde noch sie selbst wissen vorher, was dabei herauskommt.

Text und Foto: Linda Horn

Lita Talarico – Das Image des neues Designers

Nur ein Produkt produzieren, damit es hinterher im Regal steht? Das reicht nicht, wenn man Designer sein will. Die Aufgaben des Designers von heute sind viel weiter gefasster. Er muss speziell etwas für die Zielgruppe schaffen. Früher traten Auftraggeber mit ihren Ideen an Designer heran, und jene sollten ihnen Ausdruck verleihen. Diese Rolle des Designers ist nicht verschwunden, aber es ist eine weitere hinzugekommen. Heute wird der Auftraggeber nicht mehr unbedingt gebraucht. Heute werden Designer auch gleichzeitig Unternehmer und machen sich unabhängig von Auftraggebern.

In ihrem Vortrag zeigte Lita, einige Abschlussarbeiten von der „School of Visual Arts“. Von Studenten, die es geschafft haben, Nischen zu besetzen.

Debora Adler; entwickelte eine spezielle Etikettierung für Medikamente. Es war sicher, klar und Verwechslungen zu anderen Medikamenten wurden vermieden. Sie hatte dafür keinen Auftraggeber. Sie stellte nur fest, dass ein Bedarf besteht, und designte Etwas, um den Bedarf zu decken. Ihre Etiketten fanden großen Absatz. Jennifer Panepinto; hatte immer schon Gewichtsprobleme. Sie designte Schüsseln, mit denen sie genau abmessen konnte, wieviel sie isst. Danach war sie Gast in zahlreichen Vormittagstalkshows und ihre Behälter wurden sehr beliebt. Sunniva, eine norwegische Studentin, die behindert ist und eine missgebildete Hand, wollte, dass Gebrauchsgegenstände für Behinderte schön aussehen. Also designte sie Teller, Schüsseln und Besteck, die sich ihrer Missbildung anpassten und gleichzeitig schön aussahen.Während des Vortrags zeigte Lita Talarico zahlreiche Arbeiten von Studenten, die immer wieder ihre Nische fanden. Einige Werke und Arbeiten sind dem Buch „The Design Entrepeneur“ von ihr und Steve Heller zu finden.

Text: Michelle Ziegelmann, Foto: gerhardkassner.de

Katrin Meyer – Meyerland

Meyerland – das Image eines Names

Dass Meyer, neben Müller, Schmidt, Schneider und Co ein allerwelts, bzw. ein typisch deutscher Familienname ist, wissen wir alle. In welchem Umfang man diesen Namen in Szene setzten kann ist dagegen neu. In ihren 5 Jahre dauernden Recherchearbeiten, die die Rednerin Katrin Meyer mit sehr viel Liebe zum Detail und ihrem Familiennamen durchführte, halfen ihr nach eigenen Angaben wieder „die Augen für das Naheliegende zu öffnen“. Denn wer Meyer heisst hat es grundsätzlich schwerer, sich als Individuum im alltäglichen Leben „auszuweisen“ und sich von seiner Konkurrenz abzuheben.

So begann Frau Meyers typografische Reise mit einem visuellen Überblick, der die Häufigkeit des Namens und dessen Anwendung im Alltag verdeutlichte. Der Name Meyer, oder Maier, Meier, Mayr usw. ist überall, und für den aufmerksamen Beobachter auf fast jedem Objekt des Alltags zu finden. Der aufmerksame Zuhörer dagegen erfuhr, dass der Familienname Meyer, wie die meisten Familennamen aus der Gruppe der „Berufsnamen“ seinen Ursprung im Mittelalter hatte. Der Meier, wie er im Mittelalter genannt wurde, war einfach ausgedrückt ein Verwalter des Königs.

Allen die Meyer heissen, oder gerne heissen würden, sei das im Carlsen Verlag erschienene Buch „Meyerland“ ans Herz gelegt. Dort kann der interessierte Meyerfan mehr über Namen, dessen Erscheinungsbild im Alltag in Logos sowie Schrift- und Bildmarken oder über die geografische Verteilung in Deutschland erfahren. Nicht jedermanns Geschmack, aber für Meyerfans ein Muss.

Text: Florian Wolf, Foto: gehardkassner.de

Edward „Ed“ Benguiat: Der befreite Buchstabe

Eigentlich kann man es gar nicht Vortrag nennen, Ed Benguiat macht vielmehr eine Performance über sein Leben als Schriftdesigner. Er schwingt seinen Zauberstab, der mit einem Stern geschmückt ist und erzählt von seinen Lieblingsschriften, die für ihn fast wie Personen sind.Helvetica zum Beispiel sei eine „bitch on wheels“, sie sei überall zu sehen, sogar auf Müllwagen – „Diese Schrift hat es geschafft“ sagt Ed und lacht. „Ich arbeite immer mit Helvetica.“ Dann spricht er über Tiffany mit ihren „vielen kleinen Nippeln, die hier herausragen“ und fragt scherzhaft, woher wohl die Inspiration dazu kam.


Ed Benguiat liebe das „B“ in Bauhaus, „Die ganze Welt ist ein B!“

Einen Preis erhielt Benguiat für Caslon, wo der Punkt im „O“ sitzt, „Quasi ein Preis für einen Ping-Pong-Ball“. Der Höhepunkt ist für ihn das „N“ in seiner Schrift „Korinna“ – „Ein Orgasmus!“ und natürlich ist auch sein Font „Benguiat“ Thema, der angeblich spanisch und jüdisch gleichzeitig klingt.

Ed lässt sich von alten Schriften inspirieren und kann minutenlang über dieses ganz besondere „R“ auf seinem alten Friseurstuhl reden oder über ein bestimmtes Pfund-Zeichen. Man erfährt aber auch persönliche Dinge, zum Beispiel dass er aufgehört hat zu rauchen und letztes Jahr seine Frau Lisa geheiratet hat. Zum Schluss predigt er, dass man als Schriftendesigner dieses ganz besondere Talent in sich haben muss, wie ein Musiker, sonst kann man nie wirklich gut werden. Und zückt noch einmal seinen Zauberstab zum finalen Schwung.

Text: Franziska Seyboldt, Foto: gerhardkassner.de

Roman Wilhelm – Mit anderen Augen: China

„So anders wie die chinesische Kultur, kann kaum eine Kultur sein.“ Mit diesem Worten eröffnet Roman Wilhelm seinen Vortrag. Genauso anders sind seiner Meinung nach auch die chinesischen Schriftzeichen.Wenn ein deutscher Designer und ein chinesischer Auftraggeber einander begegnen, so ist es nicht so einfach untereinander zu klären, was der eine von dem anderen will. Verschiedene Kulturen mit verschiedenen Sprachen schaffen Barrieren. In China gibt es völlig andere kulturelle Gepflogenheiten, Einstellungen und Werte. Dort gibt es außerdem feste Vorstellungen davon, wie die Menschen in dem jeweils anderen Land sind – genau wie bei uns – Auch die chinesische Schrift ist nicht nur durch die Zeichen so differenziert zu den westlichen Buchstaben. Zum Beispiel, so zeigt es Wilhelm auf verschiedenen Bildern, orientiert sich unsere Schrift an der Grundlinie, wogegen sich die chinesische Schrift an der Mittellinie ausrichtet. Würde man das Experiment machen und unsere Schrift genauso ausrichten, gäbe es ein heilloses Durcheinander. Überhaupt gibt es im chinesischen weniger Schriftarten als im europäischen Raum und auch das Alphabet ist nicht wie bei uns geordnet, sondern mit Hilfe von Analogien. Außerdem erlaubt es die chinesische Schrift nach unten, rechts und links zu schreiben. In Shenyang führte Wilhelm ein Projekt mit den Studenten der dortigen Kunsthochschule durch. Er zeigte verschiedene Wortschöpfungen, die die Studenten aus einem Mix von europäischen Buchstaben und chinesischen Zeichen kreierten. Seine Arbeit in interkulturellen Projekten wird er fortführen und sicher bald neue spannende Erkenntnisse erlangen, um Brücken zu bauen, zwischen den Kulturen.

Text: Michelle Ziegelmann

Marian Bantjes: Imagining myself – ich in meiner Fantasie

Wer 39.400 Suchergebnisse bei Google aufweisen kann, ist wirklich berühmt. „Ich möchte die Menschen zum Erstaunen bringen“ – dieses Zitat von Marian Bantjes spiegelt perfekt ihre Motivation wider. Und das schafft sie sowohl in ihrer Arbeit als auch in ihrem Vortrag in der TYPOhall.

„Die Dinge haben sich nicht so entwickelt, wie ich sie mir vorgestellt habe“ erläutert Bantjes.

Bantjes startet direkt mit einem Foto, das sie am Tag vorher geschossen hat: Kurt Weidemann, der mit heruntergelassener Hose auf dem Klo sitzt. Dann spricht sie über ihr Image, erzählt ihren Lebenslauf anhand ihrer Arbeit und betont: „Wir erfinden uns immer wieder neu.“ Sie erläutert das am Beispiel von einem Bild, das sie mit sieben Jahren gemalt hat und das sie als Prinzessin zeigt. „Die Dinge haben sich nicht so entwickelt, wie ich sie mir vorgestellt habe“, der trockene Kommentar von Bantjes bringt die Zuhörer zum Lachen.Sie erzählt von ihrer Obsession für Muster und für Knoten und sagt, ihre Obsession für Pferde habe zum Glück nicht so lange angehalten.

Als Schicksal bezeichnet sie ihren Einstieg in den Job, sie habe nur Geld für den Bus wechseln wollen und sei in einen Buchladen gegangen. Dort war eine Stelle frei und sie bekam sie. Wenn sie die Stelle nicht bekommen hätte – wäre sie dann jemand anderes? Und wäre jemand anderes sie? Dann spricht Bantjes über ihre Reisen nach Indien, Thailand, Ägypten, Kenia und Frankreich. In jedem dieser Länder habe sie Inspirationen für ihre Arbeit bekommen, zum Beispiel mathematische Muster, Kacheln, Farben und Materialien. Erst im Nachhinein habe sie gemerkt, dass sie durch all diese Dinge beeinflusst wurde.Die ersten 30 Jahre ihres Lebens war Bantjes Designerin, sie beschreibt sich selbst damals als „gut, aber nicht herausragend“.

Nach ihrer Midlifecrisis mit 40 sei es besser geworden, sie habe bewusst ihre Zukunft in die Hand genommen. „Eigentlich hatte ich keine andere Wahl“ sagt sie.Sie bezeichnet sich selbst als Imageerstellerin und ihre Arbeit nicht als konzeptionell sondern visuell. Ihre Liebe zu Struktur, Ordnung und Logik zeigt sich stark in ihren Werken: Thema sind immer wieder reflektierte Bereiche, Ausrichtungen der Elemente, Wiederholungen und die Spannung zwischen dick und dünn.Einige ihrer interessantesten Werke sind zum Beispiel eine Schrift mit Pelz und eine Schrift aus Zucker. Sehr anschaulich schildert sie die Hindernisse auf dem Weg zum Ziel: „Zucker ist kein Material, mit dem man so leicht arbeiten kann, die Kristalle machen was sie wollen“ sagt Bantjes und auch die Arbeit mit dem Programm Adobe Illustrator ist nicht immer einfach. Doch jetzt hat sie alles erreicht – 39.400 Suchergebnisse bei Google.

Text: Franziska Seyboldt, Foto: gerhardkassner.de

Haemin Kim – Durch Schrift fühlen und fühlend sehen

Pünktlich begann die sich selbst als „computational graphic designer“ bezeichnende Haemin Kim im TYPOLab ihren Vortrag. Das Publikum schien komischerweise asiatischer als sonst zu sein. Die fernöstliche Atmosphäre verstärkte sich durch sich durch die sich dem ungeschulten Betrachter nicht weiter erklärenden koreanischen Schriftzeichen und Lautschrift in der Präsentation.

Der Einstieg war philosophisch, auch im Folgenden war die Kost teilweise so schwer, dass einige Zuhörer aufgaben und davon schlichen. Wer blieb, den erwartete eine analytische Reise in die Welt der Wahrnehmung zwischen Sehen und Fühlen. Das Grundlegende visuelle Element ist laut Haemin der Punkt. Erst aus dem bewegten Punkt entsteht die Linie und damit alle anderen Formen. Haemin Kim stellte das Projekt des „Physical Computing“ vor, in dem die Wahrnehmung durch das Sehen ersetzt wird mit der Wahrnehmung durch das Fühlen – den Tastsinn.

In verschiedenen Varianten – eine davon „Tactual Light“ – wurde diese Idee auf einer Tastfläche mit eingravierter Blindenschrift realisiert. In der Blindenschrift findet sich der Punkt als grundlegendes Element der Wahrnehmung wieder. Die Probanden konnten über die Fläche streifen und auf einem Bildschirm in Form von aufblinkenden Lichtpunkten visuell die Areale verfolgen, die sie gerade ertasteten. Durch diese Verknüpfung von visuellem und haptischem Sinn soll auf die vielseitige haptische Kommunikation zwischen Menschen einerseits, und die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung andererseits aufmerksam gemacht werden. „Kommunikation erfahren“ – (natürlich mit dem Finger) – sagt Haemin Kim dazu.

Text: Zehra Wellmann

 

Andreas Conradi – Brasilien visuell, Streifzug durch die visuelle Kultur des Landes

Einstimmende Bilder aus Brasilien auf der Leinwand im Typo Lab. Während die Zuhörer in den kleinen Vortragsraum strömen, begrüßt sie eine filmische Collage von kreativen Schaffensprozessen in Brasilien. Kinder bemalen alte Zäune und Häuserwände mit Tuschfarben. Street Artists sprühen Graffiti-Bilder. Ein junger Brasilianer bastelt aus alten Plastikwasserflaschen Blumen mit Blütenblättern und Stängeln. Er besprüht sie mit Farbe und steckt sie in die Erde am Ufer eines Flusses. So einfach kann Kreativität sein!

Dann kommt Andreas Conradi auf die Bühne. Er hat zuerst neun Monate in brasilianischen Design-Studios gearbeitet, ist gereist und hat die Sprache gelernt. Dann kehrte er nach Brasilien zurück, um ein Buch für seine Abschlussarbeit an der FH Düsseldorf zu entwerfen. »Exploring Brasil« heißt das Ergebnis, in dem er Künstler und Designer interviewt und die visuelle Kultur in Brasilien fotografisch festhält. Gemeinsam mit Conradi können wir durch drei Kapitel seines Buches blättern.
Die kleine Auswahl seiner reichen Beobachtungen: die kommerzielle, die populäre und die urbane visuelle Kultur Brasiliens.


Ein Sammelsurium der visuellen Kultur Brasiliens – die Abschlussarbeit von Andreas Conradi.

Conradi stellt uns Kiko Farkas vor, einen Designer vom Máquina Estúdio. Er hat ein Logo für Brasilien entwickelt. Schnörkellos und in Serpentinen gedacht, steht das Wort „Brasil“ in der Mitte von geschwungenen Formen. Das ist eine metaphorische Beschreibung der Art wie Brasilianer denken.
Conradis Beispiel für die populäre visuelle Kultur Brasiliens sorgt für große Erheiterung im Publikum: Mitten in der Wüste an einem See preist ein Bootsführer seine Touren an. Auf einem selbstgezimmerten Plakat steht: „An diesem See zu sein und keine Bootstour mit mir zu machen, ist wie in Rom zu sein und nicht den Papst zu sehen.“ Gerade da der Bootsführer keinerlei Konkurrenz im Umkreis zu fürchten hat, wirkt sein liebevoll gestaltetes Plakat unglaublich charmant.
In São Paulo traf Conradi auf Alexandre Orion, einen Street Artist. Sein Projekt beschäftigt sich mit der Interaktion von seinem Graffitis und den Passanten vor den Graffitis. Ohne es zu wissen, werden die Fußgänger zu Kunstmotiven. Dabei heraus kommen zum Beispiel Fotos von einer Frau an einer Bushaltestelle, die Engelsflügel trägt. Photoshop ist dabei Tabu.

Bei all den neuen Eindrücken steht fest: Brasilien ist bunt und das Sehen geht andere Wege als in Europa. Andreas Conradi berichtete lebhaft und persönlich von seinen brasilianischen Beobachtungen. Sein Buch offenbart, wo sich überall Kunst und Design in Brasilien finden lassen. Noch ist Andreas Conradi auf der Suche nach einem Verleger – der dürfte bald gefunden sein. Starker Applaus bestätigt seinen gelungenen und inspirierenden Vortrag.

Text und Foto: Anja Hübner

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Yang Liu – Ost meets West

Exakt 23 Piktogramme hängen im Foyer der Typo 08. Jeder Besucher ist sicherlich schon mal daran vorbei geschlendert oder hat wenigstens die klaren Farben blau – rot in den Augenwinkeln erhascht. Wir wollten wissen: Was denken die Typo-Teilnehmer darüber? Der Erste muss gleich zum nächsten Vortrag weiter, der Zweite will sich nicht die Zunge verbrennen. Nummer drei, der 21-jährige Student Andreas hat Zeit für ein kurzes Statement: „Ich find’s super. Auf einem Blick werden einem die Unterschiede zwischen Deutschland und China klar.“

Jim Rakete – Für bare Münze

Jim Rakete hat es eilig. Folgerichtig beginnt er seinen Vortrag mit den Worten, er wolle sich kurz fassen und nicht „beim Verschwinden des Fotopapiers“ beginnen. Stattdessen wählt er für den Einstieg eine Anekdote über ein zurückliegendes Treffen mit den Hohen der Politik. Als man ihn fragte, ob der damalige, barttragende SPD-Kanzlerkandidat tatsächlich der Richtige für diesen Job sei, fragte Rakete nach: ob der Herr denn bereit wäre, sich die Bartpracht abnehmen zu lassen. Der Gefragte verneinte, woraufhin wiederum Rakete verneinte: Der Kandidat sei auf keinen Fall der richtige.

Heute, Rudolf Scharping hat den Bart längst ab- und die Stimme tiefer gelegt, habe die SPD das gleiche Problem. Wieder ein SPD-Kanzlerkandidat, wieder ein Bart, wieder jemand, der die Kluft „zwischen verrauchtem Hinterzimmer und Weltläufigkeit“ zu schließen versuche. Und schon sind wir beim Thema des Vortrages: Dem Abgleich von Images.

Der „symbolische Schmuckbart“, das sei das derzeitige Hauptproblem der SPD, die Tatsache, dass der Bart genannt wird, bevor es zu einem sachlichen Austausch von Inhalten und Argumenten kommen kann. Auch der Redner, so gibt dieser offen zu, mag Becks Bart nicht. „Erinnert mich an einen alten Volksschullehrer.“

 


Jim Rakete vermisst die Wahrheit im Bild und Rakete schlägt den Bogen zu den wahren Fragen unserer Zeit.

Was wird aus einer so genannten Informationsgesellschaft, wenn sie den Backstagebereich für staatstragender hält als die eigentliche Bühne? Warum sieht man Schauspieler und Politiker häufiger in Talkshows als im Theater respektive im Bundestag? Warum wird heute alles auf den Unterhaltungswert heruntergebrochen? Eisbär Knut, stellvertretend für das „Leichte“ in einer „schweren“ Zeit, sei Platzhalter eines großen Garnichts. Er sei nur noch Image, gänzlich ohne Inhalt.

Rakete ist überzeugt, dass die aktuelle Generation wenig Spuren hinterlassen wird, da ihre Gestaltung in die Beliebigkeit und Belanglosigkeit abgleite. Früher sei das größte Kompliment gewesen, wenn etwas „ein Original“ war. Diese Originale hätten in Zukunft kaum noch eine Chance, weil sie im Photoshop ihrer Ecken und Kanten beraubt würden. Das zitierfähige Bildmaterial komme derzeit noch hauptsächlich aus der Vergangenheit, das neue Material sei flüchtig, die aktuellen Bilder glaubten wir uns selber nicht mehr.

Doch Rakete sieht Licht am Horizont: Für sein aktuellstes Projekt ging er zurück zu den Wurzeln, zog los, widmete seiner Aufgabe, Menschen zu fotografieren, die sein Leben begleitet haben, ein ganzes Jahr. Und er erfuhr Verblüffendes: die Leute stürmten die Galerie in einem Maße, das auch der Fotograf nicht erwartet hätte und rissen ihm die Bildbände aus den Händen. Rakete erklärt dies mit dem tiefen inneren Bedürfnis, noch einmal das „Echte“ sehen zu dürfen und vergleicht diese Erkenntnis einleuchtend mit der von MTV, dass auch der Musikkonsument sich in Zeiten von durchgestyltem Elektropop nach Unpluggedmusik verzehrt. Nach Handwerk. Nach dem Ursprünglichen.

Raketes Fazit? Auf die Strömungen unserer Zeit gebe es keine besser Alternative, als zu versuchen, es besser zu machen.

Text: Dörte Schütz, Foto: gerhardkassner.de

Horst Moser – Betrifft Zeitschriftendessign

Horst Moser: Editorial-Designer, Art Director und Autor führte das Publikum nach der Pause in den letzten Nachmittag der Veranstaltung. In einer Retrospektive über das Coverdesign von Magazinen, Zeitschriften und Zeitungen verdeutlichte er die gestalterische Herangehensweise im Coverdesign der letzten hundert Jahre. So führt die visuelle Reise von unbekannte Illustratoren über Peter Behrens, Gottfried Helnwein bis zur Ulmer Schule, zeigt dabei die unglaublich vielseitigen Facetten der Covergestaltung und verliert dabei nie die Gegenwart aus den Augen. Der Fundus der gezeigten Arbeiten aller Jahrzehnte war ebenso umfangreich wie sein turnhallengroßes „Coverarchiv“.

„Ich werde mit niemand so lange reden wie mit Ihnen.“
Die immense Menge der aktuellen grafischen Veröffentlichungen fordert eine besondere Verpflichtung der Gestalter, sich von der Konkurrenz klar abzuheben, Regeln zu brechen und überholte Standards zu kippen. So achtet Horst Moser in seinen Arbeiten darauf, sich gerade in anscheinend banalen Gestaltungsmerkmalen wie zum Beispiel dem Anordnen des Fließtextes oder der Headlines immer wieder neue Wege zu gehen. Sein Beitrag endete mit einem Appell an aktive Gestalter, nicht die Bodenhaftung zu verlieren, und sich gegen den unerträglichen Habitus einiger größenwahnsinniger Unternehmen, aber auch gegen das arrogante Verhalten überheblicher Designer zur Wehr zu setzten. Ein inspirierender „fast- Abschluss“ der Veranstaltung, der sicher auch viele Anwesende zum Nachdenken angeregt hat. Dafür ein Dank aus dem Publikum.

Text: Florian Wolf, Foto: gehardkassner.de

Nicholas Bourquin – „Je viens d’ici“ – ich komme von hier

Tramelan ist ein durchschnittliches Dorf im Berner Jura, kurz vor der französischen Grenze. Keine spektakulären Berge. Keine großartigen Seen. Keine berühmte Kirche. Nur eine verhältnismäßig gloreiche Vergangenheit, die sich aus Uhrmachertradition und Landwirtschaft speist. Höhepunkt des Dorfgemeinschaftslebens ist eine gelegentliche Partie „Hornus“, bei dem sich eine Gruppe Herren im besten Alter, ausgerüstet mit Fanginstrumenten in Form von Pizzaschiebern, mit einer andere Gruppe, ausgerüstet mit Wurfinstrumenten in Form von Angeln, ein Spiel liefert, das eine Mischung aus Baseball, Tennis, Eishockey und Pizzabacken ist. Die Bevölkerung ist stark rückläufig, die junge Generation zieht es in die Städte.

„Und aus diesem Ort komme ich!“

Sohn des Dorfes und langjährige Lebenserfahrung in Berlin – diese Kombination machte Nicholas Bourquin, Geschäftsführer und Begründer von onlab, in den Augen der Stadtverwaltung zum idealen Kandidaten, um eine Imagekampagne für Tramelan zu forcieren.

Wie Nicholas Bourquin (der unter anderem auch deshalb Graphikdesign studierte, weil seine Familie ihm vom aussterbenden Uhrmacherberuf abriet), in der nächsten Stunde seine „Stratégie de Communication“ für sein Heimatdorf durchdekliniert, war mehr als eindrucksvoll. Er offenbart vor allem, wie man einen Ort lieben kann, der auf den ersten Blick so gar nicht liebenswert erscheint. Und wie man diese Liebe visualisiert.

„Vivre, Savoir und Faire“ – so die Unterpunkte seiner Imagekampagne. Keine Berge, kein See, keine Kirche – womit der Ort punkten kann, sind allein seine Einwohner, „einfache Leute im besten Sinne“. Und die portraitiert die neue Broschüre in wunderbar warmherzigen schwarz-weiß-Fotos, nicht geschönt, sondern ehrlich: die Bürgermeisterin und der Tante-Emma-Ladenbesitzer, der Bademeister und der Kabelleger. Auch Stadtansichten fehlen nicht. Er habe, so Bourquin, nicht ausschließlich schöne Orte aufgenommen. „Wir zeigen was es gibt, und nicht, was man erwartet!“ Auch wenn einige der Bewohner ihm vorwerfen, nach Ansicht der Broschüre würde der Eindruck entstehen, Tramelan sei ein zweites Tschernobyl – die Bildsprache ist die absolute Stärke der Broschüre. Die Aufgeräumtheit des Uhrmacherateliers transportiert den aufgeräumten, präzisen und organisierten Charakter der Schweizer. Und das dieser zu gleichen Teilen verschroben wie liebenswert ist, erfährt man auch aus Details, die Bourquin während des Vortrages zum besten gibt. Wie er bei der Präsentation seiner eigens entwickelten Schrift „Tramelan Lutz“ von den Verantwortlichen mit dem Satz „Wir haben schon Arial und Verdanda im Computer! Wozu eine eigene Schrift?“ gemaßregelt wird, oder dass die Lindenblätter im Stadtwappen von der Hälfte der Tramelaner für Herzen gehalten wurden: dem Zuhörer entsteht ein lebhaftes, differenziertes Bild von Tramelan.

Alles in allem war der charmante, bereichernde Vortrag von Nicholas Bourquin wohl auch ein Plädoyer, hinter die Fassaden zu schauen. Und hinter den „à vendre“- Schildern in den vernagelten Fenstern der aussterbenden Tramelaner Innenstadt werden mittlerweile wieder einige der teuersten Uhren der Welt produziert. Das freut Bourquin. Und das wiederum freut den Zuhörer, der das kleine Dorf innerhalb nur einer Stunde schon fast ins Herz geschlossen hat.

Mission Imagekampagne geglückt!

Text: Dörte Schütz

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