Die Bühne ist bereitet, gleich wird Ulrike Rausch etwas über Lettering und Fonts erzählen. Ich erwarte also eine Art von Grundlagenseminar für die Gestaltung einer Schrift. Die Moderatorin stellt die Frage, wer noch nie etwas von OpenType-Features gehört hat. Während gefühlt der gesamte Saal regungslos verharrt, geht vorne eine Hand nach oben, und auch ich strecke meinen Arm in die Höhe. Wir sind also immerhin schon zwei.
Als Lektor und Texter habe ich zwar viel mit Sprache zu tun, wie genau aber Schriften funktionieren, wer sie warum entwirft, davon habe ich keine Ahnung. Ich bilde mir ein, gute von schlechten Schriften unterscheiden zu können, allerdings ohne jedes Hintergrundwissen. Ich kenne Arial, Times New Roman und Calibri, ich weiß, dass man lustige Hinweisschilder mit Comic Sans gestalten kann.
Jetzt höre ich zum ersten Mal vom Alltag einer Type-Designerin. Ulrike Rausch arbeitet vornehmlich am Computer; Pinsel, Stift, Papier – das sind schöne Dinge, auf die man nicht verzichten kann, wenn man sich mit den Basics auseinandersetzt, aber in ihrem Arbeitsalltag herrschen Computer und Software vor, die Type-Designerin ist auch Programmiererin.
Mehr als 8 Pixel braucht es nicht
Es waren auch solche Programmierer – Computerspielentwickler in diesem Fall –, die Toshi Omagari zu seinem 8-Pixel-Vortrag inspiriert haben. Seine Agenda: die Fonts von Arcade-Computerspielen zu studieren, sie auf ihre Wirkung und Eignung hin abzuklopfen. Und das ganze sehr reduziert: Die Schriften dürfen kein Kerning (optischen Ausgleich), keine variablen Fonts, keine Kurven und keine OpenType-Features aufweisen.
In den folgenden Minuten bestaune ich gemeinsam mit den anderen Menschen im Raum eine exotisch anmutende Retro-Sammlung mit vielen Eigenheiten und den unterschiedlichsten Ansätzen, von Monospace über dicke Bold-Schriften bis hin zu Schriften, die auf 8 Pixeln sogar besonders dekorativ wirken sollen. Es gibt Schriften für Rennspiele, Kampfspiele, sogar welche speziell für frühe Cyberporn-Spiele. Die Programmiererinnen waren in der Mehrzahl der Fälle keine Schriftgestalter und haben mit Improvisation und Hingabe viel erreicht. Omagari betont, dass vieles wie „Out of the box“ gezaubert wirkt, bloß dass es eine solche Box damals gar nicht gegeben hätte. Die Computerspielschriften wurden meist auf Papier vorgezeichnet und dann digital mit Pixeln nachvollzogen.
Die Digitalisierung erweitert die Möglichkeitsräume enorm, mancher sucht trotzdem noch Grenzen
Die OpenType-Features, über die Ulrike Rausch spricht, haben viel mit diesem Thema zu tun – sie müssen sich nicht mehr mit künstlichen, meist technischen, Beschränkungen aufhalten, wollen aber immer noch den Geist von Handarbeit, von Authentizität atmen. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch noch möglich wäre, sich mit Grenzen zu beschäftigen: Radek Sidun präsentiert in seinem Vortrag zur tschechischen Typografiegeschichte einen neu entwickelten Font, der mit seiner Komplexität den Rechner in die Knie zwingt. „The wheel is spinning“, sagt Sidun über den laufenden Prozess auf seinem Apple-Rechner und jemand ruft hinein: „Too many lines“. Die Schriftart BC3018 ist mit einer Vielzahl an Pfaden pro Zeichen am Rande des technisch Machbaren entworfen. Sie basiert auf Entwürfen von Schriften für ein Science-Fiction-Magazin und erinnert sehr an Steampunk und mittelalterliche Alchemiebücher.
Mit der Konzentration auf die typografischen Entwicklungen in der Tschechoslowakei bzw. der heutigen Tschechischen Republik ist Siduns Ansatz viel stärker davon geprägt, wie das kulturelle Erbe die aktuelle Situation und die Arbeit der Schriftentwerferinnen prägt. Für mich als Laien ist es schwierig, hier konkret einzusteigen, da mir dabei ein Ansatzpunkt fehlt. Bei Toshi Omagari ist es die Populärkultur, in der ich mich wiederfinden kann, bei Ulrike Rausch ist es das praktische Verständnis, das lebensweltliche Element ihrer Arbeit, das mir die schriftgestalterischen Ideen näherbringt.
„Handschriften“ im Supermarkt verraten sich oft durch ihre Perfektion
Denn auch das ist eine Sache, von der ich keine Ahnung hatte: Die Schriftgestaltung in Supermärkten oder auf den Angebotstafeln von Fastfoodketten folgt dem allgemeinen Trend zu mehr Handwerk und Natürlichkeit. Während Dinge in Manufakturen entstehen und sogar das Brot wieder handmade ist, sollen Schriften verschnörkelt und wie selbst gemalt erscheinen.
Das gelingt selten, denn nur handgezeichnete Schriften zeichnet das Unperfekte aus, sie folgen keinem System. Buchstaben sehen nicht gleich aus; wenn zwei Buchstaben aufeinanderfolgen, werden sie nie identisch sein. Aber gerade das passiert oft bei den vermeintlichen digitalen Handschriften. Sie sind nur oberflächlich unvollkommen.
Die Lösung für dieses Dilemma ist nun aber nicht unbedingt, wieder alles per Hand zu zeichnen. Es geht viel mehr darum, den analogen Touch ins Digitale zu transportieren, so wie es auch die Programmierer in Toshi Omagaris Spielen getan haben – allerdings mit einem weiteren technologischen Schritt: den OpenType-Features. Sie funktionieren wie eine Art eigener Programmcode für den Font, sie sorgen dafür, dass sich der zweite von zwei aufeinanderfolgenden Buchstaben leicht vom ersten unterscheidet. Oder das Versalschrift direkt in einem reduzierten Schriftschnitt erscheint, damit sie nicht so klobig wirkt.
Mit Hingabe für das Aussehen von Schriften
Im Kern geht es also darum, Schriften auch digital außergewöhnlich und individuell gestalten zu können. OpenType-Features bieten dafür eine Fülle an Optionen, und Type-Designerinnen müssen dafür nicht die digitale Sphäre verlassen. Aber ganz gleich, ob es um den ganz praktischen und pragmatischen Ansatz von Ulrike Rausch geht, das nerdige Fanboytum von Toshi Omagari oder Radek Siduns hoch spezialisierten Font-Vortrag. Ihre Beiträge waren geprägt von ihrer Hingabe an das Medium der Schriftgestaltung. Es ist eine Welt, in die man als Außenstehender daher umso lieber eintaucht und deren Spleens man sich vielleicht sogar zu eigen macht. Sei es, um die Typografie des nächsten Computerspiels ausführlich zu würdigen oder den anstehenden Besuch einer Fastfoodbude abzusagen, weil einem das Schriftbild der Angebotstafeln nicht zusagt.