Fragenziehen #6: Interview mit Sonja Knecht

Teil 5 meiner Interviewreihe „Fragenziehen“, mit der Texterin und langjährigen Moderatorin der TYPO Berlin Sonja Knecht. Für die TYPO hat sie auch geschrieben und das Editorial Team aufgebaut. Das Spiel geht einfach: Sonja zieht einen Begriff, legt ihn neben die Karte „Schrift“ und antwortet, was ihr dazu einfällt. Assoziativ und schnell.

von Lukas Horn

Schrift & Innovation

Gar nicht so einfach. Ich habe ja ganz klare Vorgaben: 26 Stück. Und noch mehr, natürlich, Groß- und Kleinbuchstaben, Sonderzeichen, Umlaute usw. Aber das ist ein ganz klarer Rahmen, in dem sich Schriftgestalter und -gestalterinnen bewegen. Es ist gar nicht leicht, da etwas Innovatives zu machen, also etwas, das dann auch sinnvoll ist. Nicht nur neu, um neu zu sein. Sondern eine echte Innovation. Im Sinne von – sinnvoller – Erneuerung.

Texterin, Sprecherin und Moderatorin der TYPO Berlin Sonja Knecht

Schrift & Liebe

Schrift und Liebe, na was fällt mir da wohl ein? Lucas natürlich! Mein lieber Lucas, Lucas mit c, mein Mann. Punkt. (Pause.) Nee, noch nicht „Punkt“. Ich muss das deutlich machen; das ist jetzt nicht nur ein Romantikausbruch. Ich kenne wirklich niemanden, der so eine Verbindung zu Buchstaben hat wie Lucas. Er verschmilzt förmlich mit ihnen. Ganz große Liebe.

Schrift & Natur

Handschrift! Also, dass wir alle von Natur aus eine Handschrift haben. Mindestens eine. Ist ein bisschen Quatsch, weil wir sie natürlich nicht „von Natur aus“ haben, sondern als Teil unserer Kultur. Angeeignet. Wir haben das gelernt. Aber Schrift ist generell etwas, was mit Natur zu tun hat, insofern, dass wir mit der Hand schreiben, dass Bewegung eine Rolle spielt, die Art wie wir unsere Hand und unser Werkzeug halten und bewegen. Unsere Körperlichkeit spielt dabei eine Rolle. Handschrift hat allein dadurch etwas Naturhaftes. Das finde ich wichtig. Ich nutze es oft beim Texten. Handschriftlich texten, Ideen finden, sich erste Notizen machen, das geht oft besser als sich direkt vor den Computer zu setzen. Es ist ein anderes Fließen. Und: Es macht Spaß, mit der Hand zu schreiben. Es tut einfach gut.

Schrift & Sprache

Sprache, das ist natürlich meine Lieblingskarte! Schrift und Sprache – das versetzt mich in helle Aufregung. Das ist meine absolute Lieblingsverbindung. Ich bin ja Texterin, und meine Definition für Text geht so: Text ist gestaltete Sprache. Das betrifft, und das ist wichtig, sowohl Inhalt als auch Form. Also: Text ist gestaltete Sprache. In Inhalt und Form.

Und ganz unmittelbar ist die Form von Text, von Sprache, Schrift. Das hängt für mich ganz unmittelbar zusammen. Schrift ist sichtbar gewordene Sprache. Dieser Zusammenhang ist enorm wichtig. Buchstaben haben ja nur Sinn, oder werden erst sinn-voll, wenn sie Sprache repräsentieren. Es sind diese 26 Zeichen, die das machen. Sie machen Sprache sichtbar. Sie verkörpern Sprache. Das ist das Aufregende und Schöne an Buchstaben.

Im Gespräch: Sonja Knecht zusammen mit Luke Stockdale. Photo: © Jens Tenhaeff

Schrift & Toleranz

Spannend! Dazu fallen mir natürlich sofort andere Sprachen und Kulturen ein. Also dass Schrift nicht nur für meine, sondern auch für andere Sprachen wichtig ist. Das knüpft jetzt auch an die Frage davor an. Als Anwenderin oder Gestalterin von Schrift sollte ich idealerweise berücksichtigen, dass es andere Sprachen und Kulturen gibt, und dass sie andere Zeichen brauchen als die, die ich in meiner Sprache brauche.

Meine erste Begegnung damit war durch Kollegen und Kolleginnen in Osteuropa, in Prag, die etwa eine Zeitung gestalten mussten. Da kuck ich mir all die schönen Schriften an, die Schriftenhäuser zur Verfügung stellen, sagten sie, suche mir welche aus – und kann sie leider nicht benutzen. Weil die fünf oder zehn speziellen Zeichen, die ich in meiner Sprache brauche, die ich fürs Editorial Design, für eine tschechische Zeitung etwa, bräuchte, einfach nicht da sind. Schade! Das ist ein enorm wichtiges Thema bei der Schriftgestaltung. Ein interkulturelles Thema. Weil die jeweilige Sprache und die jeweiligen Buchstaben, die ich für meine Sprache brauche, ein großer und wichtiger Teil meiner Identität sind. Wenn plötzlich jemand uns Deutschen die Umlaute wegnehmen oder sie nicht mitgestalten würde, dann wäre das verheerend. Dann würde mir ein Teil nicht nur meiner persönlichen, sondern auch meiner kulturellen, in diesem Fall deutschen Identität geraubt werden. Vom Eszett fange ich jetzt lieber nicht an, aber die hitzige Debatte darum hat eben genau damit zu tun. Nicht „nur“ mit ästhetischen, schriftgestalterischen oder praktischen Fragen. Sonst wäre sie nicht so hitzig.

Ja, das ist für mich das Wichtigste in Sachen Schrift und Toleranz: dass Schrift kulturelle Identität ist. Toleranz in der Schriftgestaltung muss also schlicht bedeuten, dass ich das berücksichtige, was wir für unsere Sprache brauchen – und wie gesagt nicht nur wir, für „unsere“ Sprache. Wir alle brauchen Sprache, und Schrift als ihre visuelle Umsetzung, ihr Vehikel – unser Ausdrucksmittel. Um zu kommunizieren. Um verstanden zu werden und um andere zu verstehen. Das ist es.

 

Sonja Knecht ist Texterin, Sprache ist ihr Werkstoff. Sie schreibt, übersetzt, unterrichtet, moderiert, hält Vorträge, gibt Workshops. Zu ihren Auftraggebern gehören das Bauhaus-Archiv Berlin, Bikini Berlin, die IKEA Stiftung, Oxfam Deutschland, Study Buddhism und diverse Agenturen mit Kunden wie Bosch, DHL, Messe Frankfurt, Volkswagen. Sie war Director Text bei Edenspiekermann, baute das heute 30-köpfige Editorial Team für die TYPO Talks auf und lehrt an der UdK Berlin sowie an der Burg Giebichenstein, Halle. Sonja lebt in Berlin und ist verheiratet mit dem Schriftgestalter Lucas de Groot.

Talk „Text in Need“ by Sonja Knecht at ATypI 2016 Warsaw

Vortrag „Mopsdiebstahl oder Text in Not“ von Sonja Knecht beim Creative Morning Berlin 2016

☞ Mehr von Sonja auf ihrer Website www.txet.de und auf Twitter unter @sk_txet