Schrift & Mut
Ich habe den Eindruck, dass heute nicht sehr viel Mut im Typedesign vorhanden ist. Es gibt super viele Schriften, die sich sehr ähneln. Warum das so ist? Vielleicht trauen sich die Leute nichts Neues. Oder es hängt mit dem Geld zusammen; viele denken sich, was erfolgreich ist, kann ich kopieren. Dabei sind die Schriften viel spannender, die anders sind, die nicht nur kommerziellen Zwängen gehorchen. Auf jeden Fall wünsche ich mir mehr Mut im Typedesign.
Schrift & Rockstar
Das ist ein Begriff, mit dem ich nicht viel anfangen kann, also »Rockstar« im Design generell, nicht nur im Typedesign. Klar, es gibt immer ein paar Leute die richtige Fangemeinden haben, wo der Starkult Dimensionen annimmt, aber ich finde eigentlich Leute, die das dann so richtig ausleben und sich auch selber als Rockstar geben, immer ein bisschen suspekt.
Ich finde spannender, was die Leute für Arbeiten machen. Klar müssen sie sich auch einigermaßen präsentieren können, gerade wenn sie auf einer Konferenz wie der TYPO auftreten, aber ja … sonst bin ich nicht so ein Anhänger vom Starkult. Ich habe gemerkt, dass ich selbst unter Typonerds nochmal der spezielle Nerd bin. Ich habe letztens einen eintägigen Typedesignkurs gegeben, und ich dachte, die Studenten wollen sicher von Grund auf lernen, wie man die Buchstaben im Fonteditor zeichnet, und auf welche Details es ankommt. Sie hatten Sachen vorbereitet, und es waren alles so gar keine klassischen typografischen Buchstaben, und ich dachte „Ach du scheiße, was machst du jetzt?“.
Auch Ludwig Übele ist ja auch so gar kein Rockstar. Der arbeitet eher vor sich hin und macht gute Arbeit und haut das dann einfach raus. Und er überarbeitet auch noch Georg Saldens Entwürfe. Mir persönlich ist es sehr sympathisch, wenn man eher im Hintergrund arbeitet und seine Arbeiten für sich sprechen lässt.
Schrift & Lernen
… oder Schrift lernen? Das Lernen hört eigentlich nie auf, das sollte man nicht unterschätzen. Oft bemerkt man den Lernvorgang erst im Nachhinein, wenn man bereits etwas in einem bestimmten Bereich gelernt hat. Wenn man sich dann wieder anguckt, was man am Anfang produziert hat, ist das manchmal eher schmerzhaft. Es gibt auch einen passenden Begriff: den Dunning-Kruger-Effekt. Die Selbsteinschätzung, wie sehr man sich mit etwas auskennt ist umgekehrt proportional zu dem wie man sich tatsächlich auskennt. Die Anfänger glauben, sie haben sich jetzt vielleicht eine Woche mit einem Thema beschäftigt, und sind jetzt voll die »Checker«, die alles wissen, und allen was darüber erzählen können. Je mehr man dann aber tatsächlich über etwas weiß, desto mehr glaubt man selber, dass man eigentlich noch ganz am Anfang steht und sich gar nicht traut, irgendwelche allgemeingültigen Thesen aufzustellen, weil man dann weiß, jedes Thema ist komplex, jeder lernt für sich, und jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen.
Ich bin seit fast zwei Jahren Vater, und da wird mir auch wieder sehr bewusst, dass man wirklich immer etwas Neues lernt. Mit einem Kind sieht man die Welt wirklich nochmal ganz anders und fängt selber nochmal einen Lernprozess an, parallel mit dem Kind, wie es die Welt entdeckt. Und das ist eine schöne Sache, denn wenn man das bewusst wahrnimmt, kann man das auch für andere Bereiche nutzen, und findet vielleicht einen neuen Zugang zu einem Thema, obwohl man dachte, man kennt eigentlich schon alles.
Gerade Typedesign ist ein wahnsinnig komplexes Thema, wenn man es lernen will. Man muss im Fonteditor zeichnen lernen. Bis man es überhaupt schafft, mit den Tools, die es da gibt, die digitalen Vektoren in die Form zu bringen, wie du sie dir vorstellst … das dauert schon sehr lange, ich denke, ein paar Jahre, bis man das dann so einigermaßen hinkriegt. Und dann ist es ja nicht damit getan, dass man da irgendwas hinzeichnet, sondern es muss ja irgendwas dahinterstehen. Es ist eine sehr große Lernerfahrung, und auch nur für Leute mit viel Geduld. Geduld ist dafür die Voraussetzung.
Schrift & Du
Naja, ich hab ja jetzt schon viel von mir geredet (lacht). Dann ziehe ich vielleicht lieber eine andere Frage …
Schrift & Männer
Gibt es männliche oder weibliche Schriften? Das ist auch ein interessantes Thema, wo ich mir wirklich nicht sicher bin. Ich selber denke gar nicht in solchen Kategorien, wenn ich mir Schriften angucke. Ob man Schriften so einteilen kann oder sollte? Ich denke schon, man kann sagen, dass Schriften zum Beispiel eher weiblich aussehen, weil ihre Formen bestimmte Attribute haben, die man eher mit Weiblichkeit verbindet. Das kommt einfach durch die Kultur, wie wir hier geprägt sind. Aber die Frage ist natürlich, ob man das auch machen sollte, oder ob man besser sagt, wir brauchen andere Begriffe, um Schriften zu beschreiben. Damit ist es vielleicht auch gar nicht relevant, ob eine Schrift »weiblich« oder »männlich« aussieht.
Oder andersherum gefragt, soll man einen Roman von einer Frau in einer anderen Schrift setzen als den von einem Mann? Es gibt natürlich diese Klischeesachen, wie zum Beispiel Kosmetikprodukte für Frauen, bei denen es etabliert ist, »weibliche« Schriften zu verwenden. Aber vielleicht ist das gerade der Punkt, an dem man als Designer erst recht darauf achten sollte, mit einer überraschenden Schrift zu arbeiten, die dem Klischee widerspricht.
Schrift & Tradition
Das ist natürlich auch ein großes Thema. Man kann nicht abstreiten, dass wir in der Gestaltung durch Tradition geprägt sind. Schrift würde ja sonst gar nicht funktionieren, weil man die Buchstaben ja einfach lesen können muss, die man gestaltet. Es gibt natürlich immer Ausnahmen. Buchstaben, die man nicht oder auf verschiedene Weise lesen können soll, wie im Talk von Underware gezeigt. Im beschriebenen Font kann man Wörter auswählen, deren Buchstaben so modifiziert werden können, dass sie mehrdeutig gelesen werden können.
Beim Stichwort »Tradition« denke ich auch immer an Fraktur, also gebrochene Schriften. Die haben etwas traditionelles, obwohl sie eigentlich vom tatsächlichen Alter viel jünger sind, als die lateinischen Schriften, die wir heute benutzen. Aber gebrochene Schriften sind nochmal ein Thema für sich …
Man muss die Traditionen kennen und den Mut haben, sich an der Tradition zu orientieren ohne sich bei der Gestaltung sklavisch daran festzuhalten. Man sollte sich mit der Schriftgeschichte auskennen und dann selbst interpretieren, um Stillstand zu vermeiden. Sonst bleibt alles wie es ist und das kann ja auch nicht das Ziel sein.
Bei aller Tradition sollte natürlich auch der Spaß bei der ganzen Sache nicht zu kurz kommen. Den kann man ja auch haben, wenn man die Tradition dann auf verschiedenste Arten bricht oder auf sie Bezug nimmt. Auf jeden Fall ist Schrift für mich ein Thema, bei dem man sehr viel Geduld braucht, und mit dem man sehr viel Zeit verbringen muss.
Jens Kutílek ist Typedesigner und -engineer. Seine Textschrift FF Hertz veröffentlichte er 2015 bei FontFont, und seine neue Handschriftfamilie FF Uberhand ist vor kurzem ebenfalls bei FontFont erschienen. Er arbeitet als Type-Engineer bei LucasFonts in Berlin.
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