Ludwig Übele: Georg Salden – Der Schriftrebell

Lüdwig Übele stellt uns die vielfältigen Arbeiten des zu unrecht etwas in Vergessenheit geratenen Schriftgestalters Georg Salden vor, erläutert dessen Haltung, Arbeitsweise und Ideen, die immer noch relevant sind.

von Tilmann Hielscher

Foto: © Sebastian Weiß / Monotype

Hinten die Arbeiten auf der Leinwand, vorne spricht die Person, die sie gemacht hat – das ist der übliche Aufbau von Designvorträgen. Besonders interessant sind sie dann, wenn man nicht nur die Arbeiten zu sehen bekommt, sondern auch erfährt, wie Gestalter ihre Arbeit und Aufgaben definieren. Wie die Arbeiten von der Person vorne nach hinten auf die Leinwand gekommen sind, ist mindestens genauso interessant, wie die Arbeiten selber.

Peter Biľak bricht bei dieser TYPO die Lanze für Designer und Designerinnen als Generalisten. In seinem Fall bedeutet das neben dem Gestalten von Schriften beispielsweise auch das Herausgeben von Zeitschriften, Gestaltung für Tanztheater oder dem Entwurf von Fliesen. Mit viel Enthusiasmus, Improvisation, DIY und Serendipity berichtet auch Liv Siddall davon, wie sie das Rough Trade Magazin macht. Bei Erik Spiekermann sieht man, dass Design nicht immer das Rad neu erfinden muss – der goldene Schnitt, rote Balken und „abbe Ecken“ begleiten ihn über seine lange Karriere.

Dass es bei Ludwig Übeles Vortag über den 1930 geborenen Schriftgestalter Georg Salden nicht nur um dessen Arbeiten, sondern auch um Haltung geht, zeigt sich im Titel „Der Schriftrebell“. Salden ist kein Generalist, er hat (bis heute) seine gesamte Karriere der Schrift gewidmet. Allerdings hat er das in einer Fülle und Vielfältigkeit getan, wie sie bei wenigen seiner Kollegen zu finden ist. Mit dem Schriftschreiben fängt er an, als er mit zwölf Jahren die Schreibmaterialien seines Onkels, Helmut Salden, findet. Nach dem Studium an der Folkwang Hochschule, entwirft er 20 Jahre lang Gebrauchsgrafik: Plakate, Logotypen, Buchtitel oder Monogramme – vieles davon mit geschriebener oder gezeichneter Schrift.

Ich versuche, in die Schrift Schönheit und Klarheit zu bringen, denn eine klare, schöne Schrift ist zugleich auch lesbar.

 
Zum Entwurf von Satzschriften kommt Georg Salden später, seine vermutlich bekannteste und am weitesten ausgebaute Schrift ist die Polo. Über deren Einsatz im Page Magazin kommt auch Ludwig Übele das erste mal mit Salden in Berührung. Als Gestalter, der sich mit einfachen Lösungen nicht zufrieden gibt, beweist er sich auch bei der Gestaltung dieser Familie. Beim Umstieg vom Fotosatz zum Computer lassen sich durch Interpolation automatisiert Zwischenschnitte errechnen. Salden nutzt diese Technik für die Polo, korrigiert aber jeden Schnitt noch einmal von Hand, denn jeder Schnitt hat Eigenheiten, die berücksichtigt werden müssen. Verschiedene optische Größen gab es für die Polo bereits im Fotosatz, denn auch die Größe der Schrift hat Einfluss auf das Schriftbild und muss kompensiert werden. Ausgeglichene, harmonische Schriftgestaltung erfordert vor allem genaues Hinsehen und Vertrauen in das eigene Urteilsvermögen. Bei der Polo ist die offene Schlaufe des g keine Spielerei, sondern entstand als Resultat aus der Suche nach der richtigen Verhältnis von Schwarz und Weiß. Auch die schrägen Anstriche der Polo haben einen Zweck – sie fügen sich laut Salden besser ein neben runden Buchstaben, wie dem o. Alles wird bei Salden inspiziert und ins Gleichgewicht gebracht.

Doch neben Polo gibt es noch viel mehr – auf rund 50 Schriftfamilien und mehr als 600 Schnitte bringt es Georg Salden. Zu seinen Entwürfen gehören neben konventionellen Serifen-Schriften, wie der für den Zeitungsdruck entworfenen Zitat, auch Displayschriften mit ausgefallener Schattierung. Neben den durch die eigenen kalligrafischen Fertigkeiten beeinflussten Schreibschriften zeichnete Salden auch Pixelschriften und die technische, aus Geraden konstruierte Videon. Bei der Schriftfamilie Rolls verbindet er beides – die Aufrechte geometrisch konstruiert, die Kursive kalligrafisch und schwungvoll, bilden eine unkonventionelle Familie.

 
Viele von Saldens gewissenhaften Beobachtungen und Ideen sind heute noch aktuell. Eine seiner ersten Schriften, die kursive, ursprünglich mit der Breitfeder geschriebene Daphne kam mit separaten Schwüngen, die sich im Fotosatz ergänzen ließen. Das war selbst Berthold, dem Herausgeber der Schrift, zu kompliziert um es korrekt umzusetzen und die Schrift verkaufte sich schlecht. Heute geht es einfach per Open-Type-Feature. Dalli kommt für einen Handschriften-Font mit wenigen Ligaturen aus, weil diese ambivalent sind: Ein uu kann auch ein nn sein, es kommt auf den Kontext an. Wie weit man dank OpenType heute mit dieser Idee gehen kann, zeigten Underware erst kürzlich in ihrem Vortrag bei den TYPO Labs.

Georg Salden hat mit seiner Arbeit unglaublich viele andere Schriftentwerfer beeinflusst.

 
Dass Salden der älteren Generation bekannt ist, bei jüngeren Gestaltern aber nicht unbedingt, hängt sicher auch damit zusammen, dass er nicht wie seine Zeitgenossen Zapf und Frutiger für die großen Schriftverlage gearbeitet hat. Nach der Enttäuschung mit der Daphne entstanden alle seine Entwürfe komplett in Eigenregie. Anfang der 1970er Jahre hat er mit großen Layout-Setzereien einen Abo-Vertrag geschlossen. Für diese lieferte er jeden Monat exklusiv eine neue Schrift. Welche, entschieden die Setzereien per Abstimmung aus mehreren Entwürfen. Zwanzig Jahre entwarf Salden so neue Schriften, die Setzereien verschliefen allerdings den Umstieg auf DTP und damit verschwanden auch die Abonnenten seines GST-Kreises. Ludwig Übele sieht in Salden und seiner solitären, gewissenhaften Arbeitsweise den Prototypen heutiger Schriftgestalter und Schriftgestalterinnen. Auch das Abo-Modell feiert heute wieder ein Comeback, als Subskriptionsmodell wie die Monotype Library Subscription oder wie bei Salden als Ein-Mann-Betrieb im Font of the Month Club von David Jonathan Ross.

 
Schriftgestaltung ist in der Regel keine rebellische Tätigkeit, sie muss sich immer auf Dagewesenes beziehen. Die Rebellion von Georg Salden ist eher in seiner Arbeitsweise zu finden: gewissenhaft aber nicht verbohrt, vielseitig aber nicht beliebig, zweckmäßig aber nicht langweilig. Auch wenn Salden noch am Computer gearbeitet hat und bis heute an Schrift feilt, fällt ihm das Arbeiten auf Grund von eingeschränkter Sicht schwer. Ludwig Übele, selbst Schriftgestalter, digitalisiert und vertreibt heute in enger Zusammenarbeit Saldens Schriften unter dem Label TypeManufactur.

 
Was denkt Ludwig Übele über „Schrift&Heimat“ oder „Schrift&Frauen“? Zur TYPO-Interview-Reihe „Fragenziehen“ von Lukas Horn

Ludwig Uebele

Ludwig Übele

Type Designer (Berlin)

Ludwig is a type designer living in Berlin. He runs his own type foundry LudwigType, creates logotypes and custom typefaces and works in the field of brand development. He has received several awards for his type design work. Besides his own work Ludwig collaborates with the great type designer Georg Salden and digitally reproduces and distributes his fonts exclusively on TypeManufactur.
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Georg Salden

* 1930 in Essen, Germany  
  • 1950-54 Studies at Folkwang-Werkkunstschule, Essen
  • 1954-72 own agency for advertising graphic design, also photography, Showdécor, Text;
  • since 1972 fulltime Type Designer with approx. 40 type famlies, approx. 250 Garnitures (GTS-Circle), Context;
  • since 1995 independent distribution