Der in Paris geborene und zwischen München und Berlin lebende Illustrator klickt sich gerade eben nicht durch sein umfangreiches Portfolio, sondern überrascht sein Publikum mit einer kabarettreifen Interpretation zeichnerischer Begegnungen.
Gezeichnete Reportage
Seine Skizzen und Zeichnungen, die „gezeichneten Reportagen“, entstehen durch eine äußerst charmante Methode. Lörscher hat ein Händchen dafür, die Motive kommen zu lassen. Er sucht nicht nach Ort oder Menschen, sondern er setzt sich an einen Ort – die Menschen kommen dann von selbst. So war es zum Beispiel auf seiner Reise durch die bunten und farbenfrohen Straßen von Bangalore/Indien. Straßenzeichner sind dort eine Seltenheit, der weiße Süddeutsche mit Papier und Stift ist also eine kleine Sensation. Schnell bilden sich Menschentrauben. Seine Zeichnungen dienen ihm dabei als Eisbrecher. Während er die Einheimischen gekonnt, meist mit Aquarellkasten, Tusche und Buntstiften, wiedergibt, erntet er aufgeschlossene Bewunderung.
Die Bewunderung geht sogar soweit, dass sie ihn an Orte weit abseits der touristische Pfade mitnehmen, ihm ihr Zuhause, ihr Dorf oder Freunde vorstellen. Alle wollen gezeichnet werden und Lörscher sammelt nebenbei Material für sein Buch „Making Friends in Bangalore“ (2014):
Entstanden ist eine unterhaltsame Mischung aus Skizzen- und Comicbuch, die keineswegs verlächerlicht, sondern die Fröhlichkeit und Zuversicht seines jeweiligen Gegenübers dokumentiert.
Vertrauen Erzeichen
Ein Jahr zuvor auf Haiti war diese Methode nicht ganz so leicht umzusetzen. Enttäuscht von den unzähligen Fotografen, die in Massen aus reiner Sensationslust und Profitgier unzählige Bilder des dortigen Elends und der Mensch gemacht hatten, begegneten ihm die Einheimischen zunächst mit großer Skepsis. Obwohl er ein äußerst schneller Zeichner ist, brauchte er natürlich mehr Zeit als ein Fotograf. Die Haitianer wurden Zeuge seines Zeichenprozesses und so gelang es ihm schließlich – auch auf dieser von Unheil gepeinigten Insel –, das Vertrauen so manch eines Einheimischen zu erzeichnen. Wieder knüpfte er Freundschaften, sodass er die Gelegenheit bekam, Zeuge von Hahnenkämpfen und wilden Voodoo-Ritualen zu werden.
Es entsteht ein Reisetagebuch mit über 700 Zeichnungen und Skizzen von einem Land voller Gegensätze – von Wundern, Geheimnissen und kulturellem Reichtum, aber auch von bitterer Armut, Kriminalität und unlösbar erscheinenden Problemen. Ein Land zwischen Hoffnung und Depression, zwischen leben und überleben. 2013 entstand das Buch Haiti Cheri, das mit dem Mart Stam Preis ausgezeichnet wurde.
Wiener „Wurschtigkeit“
Sein dritter Reisebericht entstand in seiner Zeit in Österreich. Man fragt sich, wie sich der Alpenstaat zu Lörschers bisherigen Reisezielen verhält und merkt, jetzt geht sein Vortrag erst richtig los. Anders als in Bangalore und Haiti wirken seine Zeichnungen zuerst schemenhafter und wenig menschenreich. Er musste die „Straßenmethode“ leicht adaptieren und fand erste wirkliche Interaktionen in den typischen Wiener Kaffeehäusern. Lörscher blüht auf – nicht nur in den Kaffeehäusern, sondern auch hier in Berlin auf der Typo-Bühne.
Nach einer kleinen Einführung in die Unterschiede der österreichischen und der deutschen Sprache fängt er an, in perfektem Wiener Schmäh kleine Anekdoten nachzuerzählen.
Seine Zeichnungen und Portraits beginnen zu leben, das Publikum ist gebannt, lacht und klatscht laut. Man schaut nicht nur einem Zeichner zu, der seine Werke zeigt, sondern wird bestens unterhalten. Ganz in seinem Element zeigt er in „A bisserl weiter geht’s immer!“ Zeichnungen, die erfrischend einfach und unglaublich zugänglich wirken – lockere Striche mit einem Blick für das Wesentliche: Stammgäste einer Würstchenbude, Saunabesucher einer Badeanstalt, galante Flohmarkthändler und philosophierende Bergbauern.
Wunderbar! Lörscher nimmt sich Zeit für die „Normalos“. Scheu und Distanz gehen verloren. Gekonnt entsteht mit wenigen Strichen aus einer Begegnung ein Charakter und dessen kleine Geschichte. Auf die Frage, wie er sich die Dialoge während des Zeichnens merken kann, sagt er ganz bescheiden: „Wenn ich zeichne, ist mein Kopf frei. Ich kann den Menschen zuhören, meine Hand macht das ganz von alleine.“
Die Herangehensweise von Lörscher ist zwar nicht neu, aber berührend. Im Zeitalter von Instagram, Facebook, Nachrichtentickern, die möglichst alles schnell digital verwursten, nimmt er sich als Beobachter Zeit. Er erschleicht sich keinen Schnappschuss, sondern zeichnet sich in das Vertrauen seiner Mitmenschen. Jeder kann ihm begegnen.
Sebastian Lörscher
Illustrator, Autor (Berlin)
• Sarah Peth