Corinna Sy: Eine Zukunft bauen

Wenn Corinna Sy von „ihren Jungs“ spricht, dann meint sie Maiga, Moussa, Ali, Saidou und Malik. Fünf junge westafrikanische Männer aus Niger und Mali, die durch das gemeinsam realisierte Modellprojekt „Cucula – Refugees Company for Crafts and Design“ neuen Halt im Leben fanden.

© Sebastian Weiß (Monotype)

Sie flohen vor gewalttätigen Konflikten, Hunger und Perspektivlosigkeit aus ihren Heimatländern nach Libyen. Sie mussten sich lebensgefährlichen Bootsfahrten nach Italien aussetzen, um von dort vor der anstehenden Obdachlosigkeit weiter nach Berlin auf den Oranienplatz zu fliehen. Ein Platz des globalen Konflikts. Ohne legalen Aufenthalt, ohne Arbeitserlaubnis, mitten hinein in die bürokratische Passivität. Refugees welcome.

Lars Harmsen/Süpergrüp: „Ich habe immer nach Projekten im Design gesucht, die wirklich helfen können – mit denen man etwas verändern kann. Cucula ist mit Sicherheit eines dieser sinnstiftenden Projekte.“

Dort begann das, was Corinna so erfüllt und den Jungs eine Zukunft bringt. Cucula ist ein Verein, der als Dach für eine Werkstatt und ein Bildungsprogramm fungiert. Für Geflüchtete in Berlin – und vor allem mit ihnen. Um denjenigen Ausbildungsmöglichkeiten zu verschaffen, denen sonst alle Türen verschlossen bleiben.

Als freischaffende Designerin hat sie sich schon früh mit sozialen Projekten beschäftigt und ihren Fokus auf gesellschaftspolitische Themen gelegt. Das Projekt – von ihr, Sebastian Däschle und Michael Wolke ins Leben gerufen – blickt über den Design-Tellerrand hinaus und konzentriert sich auf das, was wirklich wichtig ist: Zwischenmenschlichkeit. Im Gegensatz zur theoretischen Debatte über Geflüchtete in Deutschland geht es den Initiatoren ums Handeln. Sie wollen nicht nur etwas „für“ sie tun, sondern „mit“ den Geflüchteten arbeiten.

„I want to create models for a different society“

Hinter der Idee stecken die DIY-Möbel des italienischen Designers Enzo Mari, die er als Kritik gegen die Konsumgesellschaft verstand. Formschöne Möbel, die schnell und einfach selbst zu bauen sind, ohne viel Hab und Gut. Ein passendes Konzept für die Design-Manufaktur Cucula. „I want to create models for a different society.“ Enzo Maris Worte haben Vorbildcharakter. In der eigenen Werkstatt entsteht in Kooperation von Flüchtlingen, Designern und Pädagogen ein lebendiger Produktionsraum, in dem handwerkliche Basisqualifikationen anhand der italienischen DIY-Möbel vermittelt und eigene, kreative Ideen entwickelt werden. Der Erlös aus dem Verkauf der Werkstücke soll zur Finanzierung des Lebensunterhalts und der Ausbildung der Geflüchteten dienen.

Der Botschafter

© Sebastian Weiß (Monotype)

Die Möbelserie besteht aus 19 Produkten, darunter Stühle, Tische, Regale und Schränke. So unterschiedlich die Biografien der einzelnen Jungs ausfallen, so individuell interpretieren sie auch ihre Möbelentwürfe. Moussa zum Beispiel skaliert gerne Möbel – und entwarf den Kinderstuhl „Bambino“, der zum Verkaufsschlager wurde. Ein weiteres „Outcome“ von „Moussas Gestaltungswut“, wie Corinna scherzend anmerkt, ist ein Stuhl mit extrem langen Beinen. Seine enorme Körpergröße war seine Inspiration. Facebook kaufte den langbeinigen Stuhl.
Dann gibt es noch die ergreifende Idee Maliks: Er wollte einen Stuhl aus dem Holz des gestrandeten Bootes bauen, mit dem er nach Lampedusa kam. Für Cucula wurde nun klar, dass so ein Möbelstück weitaus mehr kann, als nur eine einzige Funktion zu erfüllen. Der Stuhl wurde zum Botschafter. Er transportiert die Geschichte der Geflüchteten in das Leben der Gesellschaft.

„Holy shit! Wir sind real.“

Es wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Botschaft mit den Stühlen in die Welt zu bringen. 123.000 Euro Einnahmen, 670 verkaufte Produkte, davon 350 Möbel, 900 Supporter. Von nun an schrieb die Presse pausenlos über Cucula und die Journalisten gaben sich täglich die Klinke in die Hand. Vom Oranienplatz auf die Designmesse in Mailand und dann direkt ins Lufthansa-Magazin. Eine unglaubliche Medienpräsenz, massig Unterstützung und prominente Botschafter, wie Olafur Eliasson, die Schaubühne, Robert Stadlober, Charly Hübner oder Dieter Kosslik, haben Cucula zur Realität gemacht.

„Stellt euch vor: Ihr seid vom Oranienplatz, seid obdachlos und landet dann auf einer Designmesse in Mailand.“

Doch was ist eigentlich Realität? Olafur Eliasson brachte die Antwort: „Realität ist etwas, das wir gemeinsam produzieren.“ Und so war es dann auch. Alle an Cucula Beteiligten haben sich gemeinsam ihre Realität gestaltet. Sie haben sich selbst real gemacht.

Etwas gemeinsam schaffen

In den letzten zweieinhalb Jahren haben Corinna und „ihre Jungs“ vieles gemeinsam geschaffen, verknüpft und aufgebaut. Ganz der Bedeutung des aus der Hausa-Sprache West-Zentralafrikas stammenden Wortes „Cucula“ entsprechend. Neben den handwerklichen Betätigungen kümmern sie sich auch um ein Bildungsprogramm, das praxisnah Deutsch und Mathe lehrt. Der Teil, der aber die weitaus größte Menge an Zeit in Anspruch nimmt, ist die soziale Arbeit. Hinter der Fassade der Designfirma werden die Geflüchteten auch im Alltag und bei der Rechtsberatung im deutschen Behördenwust unterstützt.

Corinna Sy

Corinna Sy

Designer (Berlin)

Corinna Sy is a freelance designer living and working in Berlin, and one of the founders of the non-profit CUCULA e.V. She got her degree from Cologne’s International School of Design in 2009 and began working in trend research, product design and concept, and consulting for the automotive sector. Her focus as a designer is on the creative opportunities within the framework of socio-political issues, as well as developing socially sustainable product cycles.

Hoffnung auf eine reale Ausbildung

Gesellschaftlich anerkannt scheint der Fakt, dass Geflüchtete in einer Firma arbeiten, noch lange nicht. Deswegen bleibt vorerst der etwas grotesk wirkende Begriff „Flüchtlingsfirma“ im Subclaim des Logos. Auch wenn das der Vorstellung von Cucula entgegensteht, ist der Begriff bewusst gewählt worden – um anzuecken und aufzuwecken. Bis sich endlich die Ansichten in den Köpfen ändern. Aber es gibt Hoffnung: Im Herbst beginnen zwei der fünf Teammitglieder eine reale Ausbildung – mit Aussicht auf ein anschließendes Visum.

Unterstützt Cucula!

Wer dieses sinnstiftende Projekt unterstützen möchte, besucht am 3.6.2016 Cucula am Paul-Lincke-Ufer 41 anlässlich der Nachtschicht – Berlin Design Night, kauft Möbelstücke oder bietet in anderen Belangen seine Unterstützung an.

Written by Lisa Schmidt •