Christoph Amend: Haltung und Charakter beim Magazinmachen

Vor wenigen Tagen wurde das „Zeit Magazin“ vom ADC (Art Directors Club) mit elf Auszeichnungen bedacht und ist somit – abermals – das erfolgreichste Periodikum im Editorial-Bereich. Chefredakteur Christoph Amend gewährt im Gespräch mit Sonja Knecht einen Blick in die Magazine und auf die Menschen, die dahinter stecken.


„Fotografen und Illustratoren sind auch Autoren.“ © Gerhard Kassner (Monotype)

Ein schwarzes Tuch wird auf die Bühne gebracht und um einen Stapel Bücher gehüllt, der auf einem niedrigen Tisch steht. Es wirkt, als würde das Aufbau-Team einen aufwendigen Zaubertrick vorbereiten. Kurze Zeit später entpuppt sich die Konstruktion als pragmatische Kamera-Halterung, als Bühne auf der Bühne: Hier soll geblättert werden.
„Die Geschichte der Printmedien ist eine wechselvolle“, beginnt TYPO-Moderatorin und Texterin Sonja Knecht das Gespräch und verweist darauf, dass viele Zeitungen und Magazine um ihr Überleben kämpfen, mithilfe der unterschiedlichsten Strategien und Umstrukturierungen. „Wie also kann es sein, dass eine deutsche Wochenzeitung, inklusive Magazin, ihre Auflage seit vielen Jahren nicht nur hält, sondern steigert, Jahr für Jahr Preise einheimst, und dafür sorgt, dass Leute wie ich das Magazin Zuhause sammeln und horten und begeistert ihren Freunden davon erzählen?“

Mut zum Experiment

Christoph Amend freut es besonders, auch im Hinblick auf die Auszeichnungen des ADC, dass die Künstler, Fotografen und Illustratoren, mit denen das Zeit Magazin zusammenarbeitet, für ihre Arbeit gewürdigt werden. Als Beispiel für einen der preisgekrönten Beiträge zeigt er die Titelseite „Das Zeit-Magazin-Cover macht Urlaub“ mit einer Illustration von Christoph Niemann, der wenige Stunden später den Abschluss-Vortrag der TYPO 2015 halten wird. Dieses Titelbild kommt komplett ohne Text aus. „Wir interessieren uns für Ideen und Bilder, die man noch nicht kennt und noch nicht gesehen hat“, erklärt Amend.

Christoph Amend ©M. Carstens

Christoph Amend

Editor-in-chief / ZEITmagazin (Berlin)

Christoph Amend, born 1974 in Giessen, is editor-in-chief of the Zeit magazine and publisher of the magazines Weltkunst and Kunst und Auktionen, published by the Zeit Kunstverlag house. He previously edited the Sunday supplement of Berlin’s Tagesspiegel newspaper and was deputy editor of the Süddeutsche newspaper’s magazine. He co-authored the 2012 book Ein Jahr, Ein Leben with actress Iris Berben and his book Morgen tanzt die ganze Welt won the 2004 Hermann Hesse prize for up-and-coming writers. Amend lives in Berlin. Photo: M. Carstens

Aus diesem Mut zum Experiment heraus entstand 2007 auch die „Doppelcover-Gestaltung“, mittlerweile das Markenzeichen des „Zeit Magazins”, das jeden Donnerstag bei über 500.000 Lesern für den ersehnten Aha-Effekt sorgt. Ein weiteres Beispiel, mit vertraut klingendem Namen: Die Cover-Illustration von Konstantin Grcic – auch ein Redner auf der TYPO 2015. Um die gestalterischen Entscheidungen zu fällen, trifft sich das Redaktionsteam des Magazins einmal in der Woche mit dem Creative Director Mirko Borsche und Jasmin Müller-Stoy (Art Director) und bespricht die Themen und deren mögliche Visualisierung.

Maximale Zeichenmenge?

„Man hört immer wieder, gerade auch im Online-Journalismus, dass die Leute keine Lust haben, lange Texte zu lesen. Stimmst du dem zu?“, fragt Sonja Knecht, selbst bekannt für ihre ausführlichen und aufwendig recherchierten Manuskripte. „Natürlich lassen wir sowas auch untersuchen, zum Beispiel durch Marktforschung. Ein interessantes Ergebnis dabei ist, dass Leser der ‚Zeit‘ und des ‚Zeit Magazins‘ sehr gerne lange Texte lesen. Sie müssen nur gut sein.” Applaus aus dem Publikum.

„Es gibt keinen Widerspruch zwischen einem digitalen Alltag und einer Leidenschaft für gut gestaltete Printprodukte.“

Amends Erfahrung ist, dass die ersten vier Absätze eines Textes entscheidend dafür sind, ob der Leser dabei bleibt. Hallo? Liest da wer?
Seiner Meinung nach ist die Lust auf lange Beiträge auch eine Reaktion auf die Digitalisierung: Es entsteht eine Sehnsucht nach dem „Zurückziehen mit einem Text, einem Buch oder Heft“, eben weil uns über den Tag verteilt Unmengen an Kurzmitteilungen und Überschriften vor den Augen flimmern.

Magazin-Macher

Während des Gesprächs wird unaufhaltsam geblättert. Weitere Cover, Bildstrecken, Reportagen, Geschichten zur Entstehung und zu den Überlegungen der Redaktion. Auffällig ist, dass den Bild- und Textschaffenden (Christoph Amend betont, dass auch Fotografen und Illustratoren für ihn Autoren sind) sehr viel Freiheit eingeräumt wird, ein großes Vertrauen in ihr Schaffen, obwohl sie zum Teil noch nie im Editorial-Bereich gearbeitet haben. Ein 3D-Magazin in Zusammenarbeit mit Kraftwerk, eine ganze Tatort-Folge, die vor der Ausstrahlung im Heft abgedruckt wird, eine Reportage zur Fußball-Fanmeile von Jürgen Teller. Selbst der Frage „Wo steckt eigentlich dieses Internet?“ geht das „Zeit Magazin“ nach, auf über 30 Seiten, mit sowohl dokumentarischen als auch assoziativen Fotografien von Heinrich Holtgreve.

„Ich möchte die Welt verstehen und ich möchte die Menschen verstehen, die die Welt prägen.“

Besonders zu erwähnen zum Thema „Fotografen = Autoren“ ist die Kolumne „Am Leben“ von Daniel Josefsohn, ebenfalls vom ADC ausgezeichnet und bei den Lead-Awards als „beste Reportagefotografie“ prämiert. Josefsohn, einer der bekanntesten Fotografen seit den 1990er Jahren, wollte an diesem Nachmittag eigentlich gemeinsam mit Christoph Amend sein Werk und sein im Frühjahr publiziertes Buch „Fuck Yes.“ (Distanz Verlag) vorstellen. Leider musste er den TYPO-Vortrag aus gesundheitlichen Gründen absagen. Amend verrät aber, dass es „in einigen Wochen wieder eine große Geschichte von ihm“ geben wird. Also, Augen auf im „Zeit Magazin“!
JR