Matthias Frey, Alexander Ginter, Marco Blaauw: Designer am Rande des Nerven­zusammen­bruchs

Manche Pitches hätte man lieber nicht gewonnen. Das stellt sich aber oft erst im Nachhinein heraus, wenn es in der Zusammenarbeit mit dem Kunden besonders zäh und stockend läuft und man einfach nicht auf einen Nenner kommt. Aber manchmal werden genau solche Projekte am Ende zu absoluten Herzensprojekten.

Dass im hier geschilderten Fall alles gerade noch mal gut gegangen ist, beweist schon die Tatsache, dass nicht nur die beiden Designer Matthias Frey und Alexander Ginter von der Wiesbadener Corporate Design Agentur Q auf der Bühne stehen, um ihre Präsentation zu halten, sondern dass das Publikum auch in den Genuss eines Trompetenstücks von Marco Blaauw kommt, der Mitglied des Ensembles Musikfabrik, also der Kunde ist.

Das Ensemble Musikfabrik, von The Guardian als bester klassischer Live-Act weltweit gekürt, besteht aktuell aus 16 Solisten, die „Musik machen, die es so noch nicht gibt“, wie ihre Fans über sie sagen. Sie sind alles andere als ein durchschnittliches Klassikensemble: In ihrer eigenen Instrumentenwerkstatt bauen sie spezielle Instrumente nach, wie etwa den Flaschenkürbisbaum, um Stücke bestimmter Komponisten spielen zu können, es wird aber auch schon mal mit simplen Steinen musiziert:
Man fühlt sich der künstlerischen Innovation verpflichtet und alle wesentlichen Entscheidungen werden von den Musikern in Eigenverantwortung selbst getroffen.
Aber was haben die beiden Designer auf der Bühne mit dem Trompeter zu tun? Was machen sie gemeinsam auf einer Bühne?

Alles begann mit dem alten Gruppenfoto. Die Musiker des Ensembles Musikfabrik konnten sich nicht mehr damit identifizieren, das ganze Corporate Design war in die Jahre gekommen, es war Zeit für einen neuen Look und eine neue Agentur.
Das ganze Team der Agentur Q stieg voll motiviert in den Pitch ein und setzte dabei alles auf eine Karte, man beschloss, nur einen Entwurf ohne Alternativen zu präsentieren, denn alle waren davon überzeugt, dass es nur diese eine Richtung geben konnte, berichtet Ginter.


Die Agentur Q bewarb sich mit einem gewagtem Konzept. © Bettina Ausserhofer (Monotype)

Das Konzept lautete: Musik ist nicht Mainstream, biedert sich nicht an und erweitert die Wahrnehmung.
Die grafische Umsetzung setzte sich dementsprechend über Standards und Regeln hinweg: Man arbeitete mit verzerrten Schriften, wechselndem Satzspiegel, seitenlangem Blocksatz ohne Absätze, gestürzten Textblöcken innerhalb eines Textes und missachtete vieles, was Designstudenten weltweit vom ersten Tag an eingetrichtert wird. Gute Lesbarkeit sollte hier aber nicht im Vordergrund stehen, der Betrachter solle sich die Inhalte erarbeiten, so Frey. Die Mühe wurde belohnt, Q ging als Sieger aus dem Pitch hervor.

Eine Mischung aus Zerstörung und technischer Inkompetenz

Die Freude darüber hielt bis zum Eintreffen der Feedbackmail an: Von „es fehlt ein Logo“ bis „eine Mischung aus Zerstörung und technischer Inkompetenz“ reichte die Bandbreite. Es stellte sich die Frage, was die Ensemblemitglieder dazu bewogen hatte, sich für diese Agentur zu entscheiden, wenn das Feedback schließlich doch so katastrophal war. Das Ensemble Musikfestival lud die Designer ein, bei einer Probe dabei zu sein, um ihre Arbeit besser verstehen zu können. Die Probe dauerte drei Stunden, im Anschluss mussten die Designer Rede und Antwort stehen und ihre Entwürfe erläutern und rechtfertigen.
Matthias Frey

Matthias Frey

Graphic Designer (Wiesbaden)

Matthias Frey was born in 1972 and studied communications design in Wiesbaden and Sydney. After graduation, he worked freelance for various ad agencies in the Frankfurt area before joining Q in 2002. He was named a firm partner in 2007. Among his clients at Q are the Rheingau Music Festival and the Hesse state ballet.
Alexander Ginter

Alexander Ginter

Graphic Designer (Wiesbaden)

Alexander Ginter was born in 1982. He received a degree in communications design with an emphasis on corporate design in 2008 from Wiesbaden polytechnic. Immediately following graduation, he hired on with Q, where he works as an art director on branding, editorial design and corporate publishing projects.
Marco Blaauw

Marco Blaauw

Trumpeter (Cologne)

Why the trumpet? “I’ve always had in mind the image of a troubadour, spreading the news through music. I wanted to do that too – with my trumpet. The task I see for me is to further develop the instrument, it’s playing technique, and to initiate new repertoire.”

Marco Blaauw has an international career as a soloist and is a member of the Ensemble Musikfabrik in Cologne, Germany. Blaauw works in close collaboration with both established and younger composers of our time. Many works have been written especially for Blaauw, including compositions by Peter Eötvös, Georg Friedrich Haas, Wolfgang Rihm and Rebecca Saunders.

Blaauw worked intensely with Karlheinz Stockhausen. Flying over the orchestra in a gimbaled cage, he played the leading role in Stockhausen’s MICHAELs REISE. He presented the premier of HARMONIES for trumpet for the BBC Proms at the Royal Albert Hall and has premiered many solo roles from the opera cycle LICHT. Marco Blaauw’s work is widely documented through radio, television and CD recordings. He started a series of solo CD’s in 2005, the sixth of which, Angels, was awarded the “Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2014.”


Heute lachen alle Beteiligten, wenn sie davon erzählen, aber damals war es harte Arbeit für beide Seiten, die jeweils andere Seite von ihrer Arbeitsweise zu überzeugen. Aber so weit waren die Ansätze der Musiker von denen der Designer gar nicht entfernt und am Ende hieß es von Seiten der Ensembles Musikfabrik einfach nur: „Gut, dann machen wir das so.“

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Es lohnt sich, für Ideen zu kämpfen. © Bettina Ausserhofer (Monotype)

Ginter und Frey sind davon überzeugt, dass sich der anstrengende Prozess gelohnt hat, dass es sich auszahlt, für Ideen zu kämpfen und Kunden zu überzeugen, auch, wenn es vielleicht auch mal unbequem wird. Belohnt wurden sie in diesem Fall nicht nur dadurch, dass fast 99% der Entwürfe aus der Pitchpräsentation durchgekommen sind, sondern auch mit diversen Auszeichnungen für ihre Designarbeit. Als Sahnehäubchen gab es im Rahmen der Umsetzung auch noch eine Zusammenarbeit mit dem Maler Gerhard Richter, der Kuratoriumsmitglied des Ensembles ist und die Coverbilder für eine CD-Serie beisteuerte.

Das neue Gruppenfoto gefällt dem Ensemble übrigens immer noch nicht. Aber das ist ja noch lange kein Grund, sich gleich eine neue Agentur zu suchen.

 

JR