Christoph Niemann: 2015 neue Likes

Es ist der letzte Vortrag des Abends, der letzte der TYPO 2015. Christoph Niemann betritt die Bühne, geschmeidig und gut gelaunt: „To round things off, I’d like to tell you what I think of character.“ Er spricht über Ängste und Erfolg, Kritik und Kreation – und Gummibärchen.

„Be your harshest critic. Ask yourself: Are you using your old lousy tricks because nobody is complaining?“ © Gerhard Kassner (Monotype)

Christoph Niemann ist Illustrator und Autor, er gestaltet Cover für das Magazin ‚The New Yorker’ und die visuelle Kolumne ‚Abstract Sunday’ für das ‚New York Times Magazine’ (hier kommen übrigens auch die Gummibärchen ins Spiel). Ansonsten schreibt er Bücher (viele) oder läuft zeichnend beim New-York-City-Marathon mit (bisher einmal; das Ergebnis der Live-Illustration gibt es hier zu sehen).

Von Erfolgen und Ängsten

Kurz: Christoph Niemann ist ziemlich erfolgreich mit dem, was er tut. Trotzdem, oder gerade weil das so ist, hat er Angst: Angst davor, nicht gut genug zu sein; Angst vor der möglichen Irrelevanz seiner Arbeiten; Angst vor Ideenlosigkeit und dem damit verbundenen finanziellen Ruin.

„Wenn du einmal etwas richtig Gutes gemacht hast, erfolgreich warst, wirst du nur noch an diesem Ding gemessen“, sagt Niemann. Ist eine neue Bestmarke erst einmal gesetzt, bleibt sie bestehen – und schüchtert ein.

„Leave the comfort zone.“

Wenn es um das Entwickeln kreativer Ideen geht, ist zu viel Angst nicht gut. Angst hemmt. Mindestens genauso schlimm ist aber Bequemlichkeit. Wer sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausruht, bemerkt nicht, wie sie langsam anfangen zu faulen. Oder, um es in den Worten Niemanns zu sagen: „Raus aus der Comfort-Zone! Sonst hörst du auf, dir Fragen zu stellen – und machst nur das, was du schon kannst.“ Sich weiterentwickeln, das ist wichtig.

„Change, when you’re content with what you’re doing.“

Deshalb rät Niemann jedem, etwas zu ändern, sobald sich eine Grundzufriedenheit mit dem eigenen Tun einstellt. Wenn er das sagt, klingt es ganz leicht. Orientierung nehmen, Routinen zerstören, alles hinterfragen – Umzüge bringen Veränderungen mit sich. Je weiter weg, desto besser. Niemann spricht aus Erfahrung: „Wo immer du herkommst, geh weg von dort.“ Zumindest auf Zeit. Das macht frei, schärft den Blick.

„You have to leave whatever places you’re coming from.“

Niemann lebt Veränderung. Nach seinem Studium in Stuttgart verlässt er das heimatliche Schwaben, geht nach New York. Elf Jahre später zieht er – mittlerweile mit Familie – weiter nach Berlin. Für wie lange, das wird sich zeigen. In der Zwischenzeit arbeitet er weiter, übt und lernt. Am liebsten Dinge, die ‚supremely frustrating’ sind. Java Script ist so etwas. Ein Fehler im Skript und nichts funktioniert mehr. Umso größer ist die Freude, wenn es dann doch klappt.

„Worry, doubt and agonize.“

Niemann zeigt lachend, aber nicht ohne Stolz, seine allererste Smartphone-App. Selbstgeschrieben in Java Script. Zu sehen ist nicht mehr, als ein grünes Rechteck, das sich in ein rotes Rechteck verwandelt, wenn man darauf klickt. Das Beispiel zeigt, dass Niemann Humor hat. Und, es sagt viel über ihn, über seinen Charakter: Er zweifelt, aber kennt seine Fähigkeiten. Weiß, dass es Talent braucht, aber vor allem Übung. Er lässt sich nicht entmutigen – wenn etwas nicht sofort klappt, macht er weiter; statt sich zurückzulehnen und zu warten übt er, versucht besser zu werden; er nimmt sich die Freiheit Fehler zu machen; er nimmt sein Schicksal in die Hand. Psychologen nennen das Resilienz.

„Do things you’re passionate about.“

Wer sich selbst erlaubt, Fehler zu machen, traut sich auch auszuprobieren. Daraus kann Großes entstehen – viele bedeutende Dinge starten als Experimente. Niemann hält es daher mit Googles 20-Prozent-Regel: 20 Prozent der Arbeitszeit verwendet er für eigene Ideen. Das hilft dabei, nicht vorhersehbar zu werden, sich von der „Stockfoto-Vorstellung der Dinge“ zu lösen. So wird – aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet – ein Tintenfass zur Kamera, eine Gabel zur Giraffe oder ein Mohnbrötchen zum Kinn mit Stoppelbart. Alltag kann so inspirierend sein.

Illustration von Christoph Niemann © Christoph Niemann

Illustration von Christoph Niemann © Christoph Niemann


Noch mehr Anti-Stockfotos von Christan Niemann gibt es auf seiner Website in der Rubrik ‚Sunday Sketches’ und auf Instagram.

Christoph Niemann

Christoph Niemann

Illustrator (Berlin)

Christoph Niemann is an illustrator and author. He creates covers for the New Yorker, a visual column for the New York Times Magazine and once drew a Marathon while actually running it.

Noch mehr Anregungen zu inspiriertem Arbeiten gibt es von Tina Roth Eisenberg: „The best way to complain is to make things“ – hier nachzulesen.

Leider möchte Christoph Niemann das Video seines Talks nicht im Internet veröffentlichen.

jg