Bereits sechs Bücher über die japanische Kultur hat die Deutsch-Japanerin Mariko Takagi bis 2010 veröffentlicht. Danach hat sie sich mit dem Thema der japanischen Typografie im Rahmen ihrer Doktorarbeit beschäftigt. Seit der Dissertation arbeitet sie an der „Academy of Visual Arts, Hong Kong Baptist University“ als Professorin. Sie lehrt dort Typografie, Buchgestaltung und Informationsdesign.
2014 publizierte sie ein neues Buch über chinesische Zeichen: Hanzi Graphy („Hanzi” ist chinesisch und bedeutet „Zeichen“). In diesem Buch beschreibt sie die visuelle Übersetzung zwischen lateinischen und chinesischen Zeichen aus ihrer typografischen Perspektive. Dabei hat sie sich nicht hauptsächlich mit der Sprache beschäftigt, sondern mit formalen Aspekten des Chinesischen befasst.
Mariko Takagi
Typographer, Book Designer, Author (Hong Kong)
In ihrem Vortrag geht sie auf drei wesentliche Punkte ihrer Arbeit ein:
1. Mythen und Geschichten der sino-japanischen Zeichen.
2. Wechselspiel zwischen Schriftbild und Bildschrift.
3. Und: Sind „Kanji“ Bildzeichen?
Wichtige Begriffe dabei sind:
Hanzi: Chinesische Zeichen; Langzeichen (sehr kompliziert) und Kurzzeichen (vereinfacht)
Kanji: Sino-japanische Zeichen (mittel kompliziert)
Hiragana: Japanische phonografische Lautzeichen (z. B. für Satzergänzungen)
Katakana: Japanische phonografische Lautzeichen (z. B. für „Lehnworte“ außer chinesisch)
Mythen
Mariko Takagi stellt interessante Thesen über die chinesischen Zeichen von Christian Stetter vor:
- Alphabet: transzendent, inhaltsbezogen, visualisiert Abstraktheit, symbolisiert die Rationalität.
- Chinesische Zeichen: dem Diesseits zugehörig, drücken Bildlichkeit aus, stehen für die Ästhetik.
Ihrer Meinung nach hat der Sprachwissenschaftler Stetter Orthografie auf der einen Seite mit der Kalligrafie auf der anderen Seite verglichen – das kann sie so nicht stehen lassen. Ein anderer Forscher, James Marshall Unger, hat sich mit diesem Thema intensiver beschäftigt und zählt in seinem Buch über chinesische / japanische Zeichen sechs Mythen auf:
1. Ideographic myth: Chinesische Zeichen sind Piktogramme
2. Universality myth: Das Zeichensystem ist unabhängig von der Sprache
3. Emulatability myth: Das Zeichensystem ist problemlos in einer anderen Sprache anwendbar
4. Monosyllabic myth: Jedes Zeichen stellt eine Silbe dar
5. Indispensability myth: Man kann ohne „Kanji“ Japanisch nicht darstellen
6. Successfulness myth: Sehr geringer Analphabetismus
Geschichte
Das chinesische Zeichen Piktogramme sind, wurde schon von Xǔ Shèn im Jahr 121 in seinem Buch widerlegt. Er analysierte dazu 9.353 Zeichen und teilte sie in sechs Gruppen ein:
1. Shoukeimoji 象形文字 – Piktografische Zeichen
2. Shijimoji 指事文字 – Indikatoren
3. Kaiimoji 会意文字 – Zusammengesetzte Ideogramme
4. Keiseimoji 形声文字 – Phonologografische Zeichen
5. Tenchumoji 転注文字 – Abgeleitete Ideogramme
6. Kashamoji 仮借文字 – Phonetische Entlehnung
Damit kann man sicher die Thesen des ideografischen Mythos widerlegen.
Japaner mussten chinesische Zeichen an die japanische Sprache und Kultur anpassen, weil die Sprachen sich stark unterscheiden. Dafür haben Japaner „Kokuji“ 国字 durch das Zusammenfügen der Zeichenelemente entwickelt. Beispielsweise entstanden in Japan viele Synonyme für „Fisch“ – weil die Japaner einfach viel mehr Fisch essen als die Chinesen. Zusätzlich schufen sie „Kokkun“ 国訓. Diese japanische Lesung wird in zwei Kategorien eingeteilt: „On-Lesung“ (sino-japanische Lesung) und „Kun-Lesung“ (original japanische Lesung).
Auch die beiden Silbenschriften „Hiragana“ und „Katakana“ entwickelten sich aus „Hanzi“ heraus und wurden ursprünglich unterschiedlich verwendet: „Hiragana“ für Briefe, Tagebücher, Gedichte und Literatur, „Kanji“ und „Katakata“ im akademischen Umfeld. Dies änderte sich mit der Reformation der japanischen Sprache.
Wie japanische Gestalter mit dem „Kanji“ umgehen
Mariko Takagi zeigt Plakate-Beispiele von japanischen Gestaltern, die mit dem „Kanji“ sehr spielerisch umgehen, wie z. B. Ryuichi Yamashiro, Kenjiro Sano, Ikko Tanaka, Dainippon Taipokumiai, Hiromu Hara, Katsuichi Ito oder Akira Kataoka. Sie erläutert die Bedeutung der Plakate, versteckte Botschaften und die Intention des Gestalters. Viele japanische Gestalter verwenden das „Kanji“ als Bildelement. Die Zeichen funktionieren dabei als Piktogramme und Wörter gleichzeitig. Japanische Gestalter nutzen diesen Formenreichtum der Zeichen, um kreative Ideen, Informationen und Gedanken zusammenzubringen. Minimalistisch und klug eingesetzte Schriftzeichen wie die des Baumes, welches akkumuliert zum Symbol für Wald wird. Oder das Schriftzeichen für Mann, das aussieht wie ein Feld und das Zeichen für Kraft (ursprünglich Pflug) und gedreht in verschiedenen Ausrichtungen jeweils an Imagination gewinnt: z. B. ein Mann, der mit dem Kopf voran rennt – dieses Zeichen zieren eine Plakatserie für eine Rugby Saison.
Sind „Kanji“ Bildzeichen?
Abschließend beantwortet Mariko die Frage, ob diese Zeichen Bildzeichen sind: Wenn man als Kind chinesische Zeichen lernt, assoziiert man mit ihnen nicht wirklich Bildzeichnen. Nimmt man die Zeichen auseinander und analysiert alle Teile, bemerkt man, dass die einzelnen Elemente der Zeichen keinen Sinn ergeben.
Selbst piktografische Zeichen wurden vor langer Zeit stilisiert und den anderen Formen angepasst. In der westlichen Kultur ist es dasselbe mit dem Buchstaben „A“. Dieser wurde ursprünglich als Zeichen für „Ochsenkopf“ entwickelt, aber niemand denkt heute daran, dass das „A“ wie ein Ochsenkopf aussieht. Dasselbe passierte mit den Zeichen im Chinesischen und Japanischen. Und natürlich kennt ein durchschnittlicher Japaner nicht alle ursprünglichen Formen des „Kanjis“. Deswegen funktionieren „Kanji“ nicht wirklich als Bildzeichen. Und es ist schwer nachzuvollziehen, wo die etymologischen Wurzeln liegen.
Hybride Kultur und das Zusammenspiel der linken und rechten Gehirnhälften
Japaner besitzen eine hybride Kultur zwischen westlich und asiatisch, modern und traditionell. Sie wollen beides besitzen. Die Kultur ist unentschlossen. Mariko Takagi findet es sehr spannend, wenn man eine Chance darin erkennt, sich nicht immer eindeutig entscheiden zu müssen. Es ist nicht Schwarz oder Weiß, Schrift oder Bild. Sondern es ist ein kreativer Freiraum, in dem man experimentieren darf. Mariko Takagi legt dar, dass das Spiel zwischen Bildlichkeit und Schriftlichkeit eine Form intellektueller Akrobatik ist, da Bild und Schrift der linken und rechten Gehirnhälfte zugeordnet wird.
Am Ende beantwortet die multikulturelle Gestalterin, Typografin und Professorin die Fragen des Publikums. Auch ich bedanke mich bei ihr herzlich, für die weiteren Infos, die sie mir nach ihrer Präsentation gegeben hat. ありがとうございました!
Ihre Homepage
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