„Mein … Karlsruhe” mit Julia Kahl, slanted

Wo und wie wird Design gelebt? Wir haben Akteure aus der Designszene befragt. Auf unserem Blog stellen sie ihre Stadt und ihre Lieblingsorte vor. Unsere neue Serie „Mein …“ beginnt mit Julia Kahl, Managing Editor Slanted Magazin und Blog, sie radelt mit uns durch ihr Karlsruhe.

Fahrrad_ZKM
Karlsruhe, das einst auf dem Klemmbrett geplant wurde, besitzt heute 27 Stadtteile, in denen insgesamt rund 300.000 Menschen leben. Sie ergeben ein buntes Mosaik dörflicher und städtischer Lebenswelten, die nach wie vor durch die barocke Stadtgründung mit ihrem Fächergrundriss und der klassizistischen Bauten Friedrich Weinbrenners geprägt sind. Geografisch gesehen liegt Karlsruhe in der oberrheinischen Tiefebene in der Nachbarschaft von Schwarzwald, Kraichgau, Vorderpfalz, Elsass, Pfälzer Wald und Vogesen. Hier ist es so warm, dass Feigenbäume im Garten wachsen, wilder Wein und Blauregen das Stadtbild prägen und bei manch einem sogar Kiwis an der Hauswand wachsen. Es ist wärmer als in (fast) jeder anderen Region in Deutschland und darauf sind alle anderen zu Recht neidisch.

Die Natur liegt direkt vor der Tür

Es gibt große Parkanlagen, wie die Günther-Klotz-Anlage im Westen oder den Schlosspark im Zentrum der Stadt. Wem das nicht reicht: Naturschutzgebiete gibt es in verschiedenen Stadtteilen, u.a. in Karlsruhe Daxlanden, das in westlicher Richtung direkt am Rhein liegt. Hier wohne ich unweit entfernt vom Rheinhafen und kann in nur ein paar hundert Metern Fußweg Weißstörche beim Brüten sehen, über Streuobstwiesen laufen und Früchte für Kompotts und Marmeladen sammeln.

Bleiben wir am Rhein: Der Rheinradweg führt durch einige der schönsten Natur- und Kulturlandschaften Europas. Entlang des Oberrheingrabens flankieren mehrere Höhenzüge den Fluss: Im Osten der Schwarzwald, das Kraichgau, im Westen die Vogesen und der Pfälzerwald. Mal mit dem Radel ins Elsass zum Flammkuchenessen oder auf eines der berühmten Pfälzer Weinfeste – von Karlsruhe aus kein Problem.

Stadt des Rechts und der Kunst

Ja, die Lebensqualität ist ziemlich hoch in der Stadt des Rechts, wie Karlsruhe auch wegen des hier ansässigen Bundesgerichtshofs genannt wird. Mit einem ungewöhn­li­chen Kunstwerk wird die Bedeutung noch unterstrichen: Am 2. Oktober 2005 wurde der »Platz der Grund­rech­te« eingeweiht, ein Kunstwerk von Jochen Gerz für den öffent­­li­chen Raum, das unter Betei­­li­­gung von Rechtspro­­mi­­nenz, Politikern und der Bevöl­ke­rung in der Stadt der höchsten deutschen Gerichte entsteht. Gerz hat 48 prägnante Aussagen zu Recht und Gerech­tig­keit aus Interviews zusam­­men­ge­­stellt. Der Künstler konfron­tiert 24 Aussagen von Juristen, Wissen­­schaft­­lern und Rechts­ex­­per­ten mit ebenso vielen Statements von Personen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind oder bisher keine einschnei­­dende Erfahrung mit dem Recht gemacht haben. Indem Gerz jeweils eine Antwort der befragten Gruppen auf die Vorder- und Rückseite eines Straßen­schil­des emailliert, stoßen zwei Ansichten zum Recht direkt aufein­an­­der. Die Schilder sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt, sodass man ihnen immer wieder über den Weg läuft.


»Platz der Grund­rech­te«, Kunstwerk von Jochen Gerz

Unweit entfernt vom Platz der Grundrechte befindet sich das Karlsruher Schloss und das darin beheimatete Badische Landesmuseum. Am Rande des Schlossgartens inmitten des Hardtwaldes findet man die Majolika, die Keramik Manufaktur Karlsruhe, bei der auch das allseits bekannte Bambi von der Bildhauerin Else Bach erschaffen wurde, das 1948 zum ersten Mal als Medienpreis übergeben wurde. Überhaupt ist die Museums- und Kulturdichte ziemlich hoch für so eine »kleine« Stadt. Anfang August findet jährlich die KAMUNA statt, die Karlsruher Museumsnacht, in der man als Besucher von Museum zu Museum streifen und zu Musik und einem Glas Wein verschiedene Performances und Events besuchen kann.

Geballte Kunst gibt’s jedoch vor allem im März, wenn die art Karlsruhe ihre Türen öffnet. Ob Malerei oder Bildhauerei, ob Zeichnung, Druckgrafik, Multiples oder Fotografie: auf 35.000 qm Ausstellungsfläche entsteht jedes Jahr eine klar strukturierte, architektonisch anmutende »Kunstlandschaft«, die zu intensivem Sehen und konzentrierter Auseinandersetzung mit den Exponaten einlädt. Man kann behaupten, dass Karlsruhe mit dieser Messe ein vitales Zeugnis der vielfältigen Verflechtungen von Kunst ablegt und eine tragende Rolle im Zusammenspiel zahlreicher künstlerischer Institutionen in der »Bildungsrepublik Deutschland« trägt.

Überhaupt spielt Kunst in Karlsruhe ein große Rolle und ist sicher auch für viele hier ansässigen Gestalter eine wichtige Inspirationsquelle. An allererster Stelle muss hier das Museum der Museen genannt werden: Das ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Magnet für Künstler und Besucher aus aller Welt, einzigartige Kulturinstitution und damit verantwortlich dafür,dass Karlsruhe über die Landesgrenzen hinaus zu einem wichtigen Punkt auf der Kunst- und Kulturlandkarte geworden ist.

Mit dem Museum für Neue Kunst, dem Medienmuseum, der Mediathek, dem Institut für Bildmedien, dem Institut für Musik und Akustik und dem Labor für antiquierte Videosysteme verfügt das ZKM über vielfältige Möglichkeiten zur Entwicklung von interdisziplinären Projekten und internationalen Kooperationen. In seiner Arbeit vereint das ZKM Produktion und Forschung, Ausstellungen und Veranstaltungen, Vermittlung und Dokumentation. Damit hat das ZKM die Möglichkeiten, auf die schnellen Entwicklungen der Informationstechnologien und den Wandel der sozialen Strukturen adäquat zu reagieren.

Das ZKM und die HfG sind im gleichen Gebäude

Die Heimat des ZKM ist eine ehemalige Munitionsfabrik, deren Stellenwert während des zweiten Weltkriegs noch an den heute sichtbaren zerbombten Einflugschneisen auf dem Stadtplan zu erahnen ist. Der historische Hallenbau wurde ursprünglich zwischen 1915 und 1918 von dem Architekten Phillip Jacob Manz erbaut und dann von dem Architekturbüro Schweger + Partner von 1993 bis 1995 zum heutigen Gebäudekomplex umgebaut.

Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe

Im gleichen Gebäude befindet sich die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG). Sie wurde gemeinsam mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe während der Jahre 1989 bis 1992 von Prof. Heinrich Klotz gegründet und ist davon nur durch einen Lichthof räumlich getrennt. An der HfG Karlsruhe werden fünf Studiengänge angeboten: Ausstellungsdesign und Szenografie, Kommunikationsdesign, Medienkunst, Produktdesign und Kunstwissenschaft und Medienphilosophie. Unter der Leitung des renommierten Rektors Professor Dr. Peter Sloterdijk hat sich die HfG zu einer Schule mit ausgezeichnetem Ausbildungskonzept entwickelt. Er sagt dazu: »Das Programm der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe ist nicht festgelegt auf bestimmte Tendenzen und Richtungen in der Praxis und in der Theorie der Künste oder gar auf einen Stilbegriff. Die demokratische Struktur der Gesellschaft wie auch das moderne Kommunikationssystem schließen solche Festlegungen und Dogmen aus. Pluralistische Offenheit ist die Basis des Lernens und Lehrens an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.«

Die Stadt wird klebriger für Kreative

Früher haben viele Absolventen die Stadt nach ihrem Abschluss verlassen, weil Karlsruhe zu klein schien, keine Kreativszene vorhanden war, wie man sie aus Städten wie Berlin oder Hamburg kennt. Und tatsächlich muss man sie auch heute noch suchen, aber es gibt sie und dazu tragen viele Gestalter in Co-Working-Spaces und kleinere Büros bei. Seit Juli 2014 ist auch Slanted innerhalb Karlsruhes umgezogen und ist nun als eigenständiges Unternehmen in einer Bürogemeinschaft in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Metzgerei heimisch.

JuliaKahl und Lars Harmsen im slanted Studio

Julia Kahl und Lars Harmsen vor dem slanted Studio

Existenzgründerzentrum Schlachthof

Existenzgründerzentrum Schlachthof

Bezogen auf die »Abwanderung« junger Kreative, sind heute andere Tendenzen zu erkennen und das liegt sicher auch an einem Großprojekt im Osten der Stadt: Mit der offiziellen Stilllegung des Karlsruher Schlachthofes Ende 2006 wurden die ersten Schritte unternommen, um das über 7 Hektar große ehemalige Schlachthofareal in ein neues Zentrum für Kultur- und Kreativschaffende sowie künstlerisches Gewerbe zu verwandeln. Im Entstehen ist der Alte Schlachthof Karlsruhe, der heute Künstlern und Kreativen außergewöhnliche Räumlichkeiten und ein Ambiente bietet, das die Verwirklichung innovativer Konzepte und Ideen möglich werden lässt. Wo einst mit lebenden Tieren gehandelt, Fleisch produziert und verkauft wurde, entstehen heute urbane Ateliers, Werkstätten, Büros und Studios, in denen frei und kreativ gearbeitet werden kann.

Auf dem Gelände wurde u.a. auch ein Existenzgründerzentrum der anderen Art aufgezogen: 68 gebrauchte Seefrachtcontainer wurden zu einer Containerstadt in der denkmalgeschützen ehemaligen Schweinemarkthalle gestapelt und werden nun von Existenzgründern aus der Kultur- und Kreativwirtschaft als Working Space für wenig Miete genutzt.

Gleich um die Ecke befinden sich dort auch verschiedene Möglichkeiten, den Feierabend zu verbringen: Die Alte Hackerei ist eine gepflegte Punkrock-Kneipe, in der Konzerte, Schallplatten-Tauschbörsen, Parties oder schräge Filmvorführungen stattfinden. Gleich daneben befindet sich das Substage, ein Live-Musik-Club, mit internationalen aber auch regionalen Künstlern und das Tollhaus, in dem man die ganze, künstlerische Palette geboten bekommt: Kabarett, Comedy, Tanztheater, Weltmusik, Jazz, Festivals, Open-Air-Veranstaltungen, Eigenproduktionen und Kinderveranstaltungen. Alle sehr empfehlenswert, weil man hier durchaus noch Unbekanntes entdecken kann.

Wer sich mehr für das gesprochene Wort interessiert, findet in Karlsruhe eine rege Poetry-Slam-Szene vor. Es gibt zwei langjährige und etablierte Veranstaltungen: Der Poetry Slam im GOTEC Club in Mühlburg findet seit 2003 regelmäßig statt und ist somit der älteste in Karlsruhe. Organisiert wird er über den Slam FFM in Frankfurt. Der KOHI Slam findet seit Bestehen des KOHI Kulturraum e.V. Mitte 2007 statt. Er ist der einzige Poetry Slam in Baden-Württemberg, der keine Veranstaltungspause im Sommer macht. GOTEC und KOHI Slam sind feste Größen der Slam-Szene und gehören zu den Slams, die einen eigenen Teilnehmer für die seit 1997 jährlich stattfindenden deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften nominieren dürfen. Seit 2011 ist die Zahl der Veranstaltungen in Karlsruhe enorm gewachsen. Das KOHI hat sich hier als Ansprechpartner, Vermittler, Unterstützer und Veranstalter in Sachen Poetry Slam etabliert.

slanted Studio
slanted Studio

Der Weg von der Oststadt in Richtung Weststadt gestaltet sich momentan etwas schwierig, denn Karlsruhe scheint auf den ersten Blick eine einzige Baustelle zu sein. Gut also, dass Karlsruhe als absolute Fahrradstadt bekannt ist und man hier auf den gut ausgebauten Fahrradwegen seine Ziele schnell erreicht.

In der Weststadt angekommen, möchte ich an dieser Stelle nochmal auf die geografische Lage der Stadt zurückkommen, denn auf dem Gutenbergplatz findet 3 x wöchentlich ein Wochenmarkt statt, den man unter keinen Umständen verpassen darf, wenn man in der Stadt ist: Von frischem Gemüse aus der Pfalz, Pilzspezialitäten aus dem Schwarzwald über Salami und Käse aus Frankreich – hier kommt das kulinarisch Beste zusammen, was es in der Region gibt. Spätestens bei dem Geruch eines Bunds Freilandrosen weiß ich: Ich liebe diese Stadt. Es ist meine ganz persönliche City of Happiness!

 

Text — Julia Kahl — Karlsruhe, Januar 2015