Ulrike Damm: Wie sieht Sprache aus?

Designerin Ulrike Damm beschäftigt sich vor allem mit freien Kulturprojekten. Mit Studentengruppen in verschiedenen Ländern hat sie acht Sprachen analysiert und dafür – über Ländergrenzen hinweg verblüffend einheitliche – Bilder gefunden.

© Sebastian Weiß

Zu Anfang sagt sie erst mal gar nichts. Wir hören Chinesisch vom Band, einen relativ langen, offenbar vorgelesenen Text.

 

Dass das eine Art Resümee ist, stellt sich erst später heraus. Als nächstes ertönt Finnisch. Dann eine Sequenz in einer (mir auch vom Klang her) unbekannten Sprache. „Sie können sich nicht vorstellen, wie oft wir diese Sprachen gehört haben,“ berichtet Ulrike Damm. Den Klang unserer eigenen Sprache können wir eigentlich nicht beurteilen; wir können nicht hören, wie unsere Sprache klingt: „Für Italiener ist es so, als würden die Deutschen den ganzen Tag schimpfen.“ Für uns natürlich nicht. Damm hat mit acht Muttersprachlern Aufnahmen des gleichen Textes in deren Sprachen erstellt und diese Aufnahmen zunächst phonetisch analysiert. Schnell stellte sich heraus, dass man den Klang eigentlich nur hören kann, wenn man sich gänzlich frei macht vom Inhalt. Oder sowieso gänzlich unbeeinflusst davon ist, weil man nichts versteht. Außerdem spielt eine große Rolle, welche „Klangmusik“ uns mit unserer eigenen Sprache, in der wir leben, umgibt. Das beeinflusst natürlich auch, wie wir eine andere Sprache wahrnehmen.

„Man kann sich auch Sprachen annähern, wenn man sie nicht beherrscht.“

Warum ist das alles überhaupt interessant?

„Wir sind keine Wissenschaftler – aber wir sind Designer. Sind wir in der Lage, den Klang der jeweiligen Sprache zu visualisieren und Bilder dafür zu finden?“ Das untersuchte Damm erst in Russland mit Design-Studenten, dann in Deutschland (Dessau). Mit den jeweiligen Gruppen hat sie vor Ort Chinesisch angehört und erste einfache Fragen geklärt.

Ulrike Damm

Ulrike Damm

For ten years, Ulrike Damm headed up the agency Damm & Lindlar, which, among other things, developed new corporate identities for brands such as E.on and o2. These days, she is busy developing cultural projects in Germany and Russia, with a focus on visualization and transformation of language, cultural identity and literature. Her publishing company, Damm und Lindlar Verlag, brings out books on these issues, among others. Ulrike Damm lives in Berlin.

Die Distanz verlieren

Die Russen waren zunächst schüchtern in der Beantwortung. Sie haben sich kaum getraut, das Chinesische nachzumachen. Ulrike Damm führt uns das umso freudiger und sehr gekonnt vor. Daraufhin haben sich – kein Wunder – auch die Russen getraut. Wer hat nicht als Kind zum Beispiel Französisch zu intonieren versucht und sich über den Klang amüsiert? Was sind das für witzige Geräusche? Wie machen die das überhuapt? Ob englisches „th“ oder die spanischen Zischlaute: Jede Sprache hat ihre klanglichen Spezifika. Durch das Nachahmen verstehen wir, „was die da machen mit ihrem Mund“. So ging es dann auch Ulrike Damms Studentengruppen, als sie das Chinesische klanglich nachahmten. Der schöne Effekt: „Die Distanz geht verloren.“ Das Fremde und das Befremden verlieren sich.

Wenn sich die ganze Gruppe einer Erkenntnis sicher war, hat Damm das als Ergebnis festgehalten. Die experimentellen Schritte gingen weiter damit, Formen für die Sprachen zu finden, diese Formen auf einer Linie anzuordnen, also für jede Sprache eine Art Notenlinie zu beschreiben. Verblüffenderwiese traten in den Linien der deutschen und der russischen Studentengruppe sehr ähnliche Formen für die gleichen Srpachen auf – obwohl die Gruppen natürlich separat und weit voneinander entfernt arbeiteten. So entstand beim Finnischen zum Beispiel „immer dieses Abgebrochene“. Das ist auf unterschiedliche Weise immer ähnlich angekommen bei den aufmerkam dem Klang Lauschenden.

Und dann das Deutsche

„Man muss da schon sehr stark sein“, fasst Damm ihre ganz persönlichen Erfahrungen zusammen, „also ich habe da schon mal gesagt, ,nein, das ist nicht so, nicht, das können Sie so nicht machen‘!“ Und wieder kommen ihre ausdrucksstarke Mimik und ihre Freude daran zur Geltung.

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Als nächstes – und auch hier musste sie tapfer sein, als Deutsche und als kulturell offene Person – wurden für die Sprachklänge Begriffe gefunden. Da gab es das Symphonieorchester für das Deutsche, den Volkstanz für den Klang von Spanisch, das Streichquartett als Allegorie für Chinesisch, das Bild des Straßenmusikanten für Französisch. Inwieweit kulturelles Vorwissen oder auch Vorurteile hier eine Rolle spielen, sei dahingestellt, war zum Teil allerdings sehr offensichtlich – so auch darin, wie die Deutschen in Dessau (geprägt von Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern?) dem Russischen etwas Bedrohliches zuschrieben und sich davon auch nicht abbringen ließen. Sie konnten diese Vorstellung oder dieses Bild („dass da jemand im Busch sitzt“) nicht von ihrem Klangempfinden trennen.

Die Suche nach den Farben erwies sich als unbelasteter und im Ergebnis verblüffender: So wählten die beiden Gruppen nahezu identische Farben für die untersuchte Sprache aus, in dem Fall für Chinesisch. Auch die Collagen aus Farben und Formen glichen sich sehr. Beim „visuellen Kulturvergleich“ (Damm greift den Begriff aus Indra Kupferschmids Vorrede auf) zeigt sich das Deutsche in Form säuberlich angeordneter Rechtecke: „Ich stehe dazu“, so Damm, „wir sind ja in der ganzen Welt angesehen auch wegen dem“.

Der vorgelesene Testtext übrigens stammt von Dostojewski, einem ihrer Lieblingsautoren; es ist der letzte Abschnitt aus „Der Spieler“. Doch „wir reden nicht über Länder, wir reden über Sprachen,“ schärfte Damm den Studierenden ein, „denkt jetzt nicht an Putin!“ Das erwies sich als sehr schwer: „Man hört ja doch immer das Wissen mit, die Vorurteile – versuchen Sie mal, nur zu HÖREN.“

Manchmal ist besser, man weiß weniger

Ulrike Damms Erfahrung mit diesem Sprachprojekt: „Es ist schwer, wenn man etwas weiß, davon Abstand zu nehmen und etwas ganz Neues zu entwickeln“. Bei Arabisch sieht man in den Klangbildern Sand und fast erwartungsgemäß schnörkelige Ornamente. Klingt die Sprache wirklich so oder visualisieren wir da unsere Vorstellungen von der jeweiligen Kultur? (Interessantes Wort übrigens, „Vor-Stellungen“.)

Die Bilder seien natürlich kein Urteil über eine Sprache (oder gar eine Kultur), betont Damm. Wichtig ist ihr die Methode, sind ihr nicht die Bilder. Es geht hier nicht um Bewertungen. Deshalb macht sie Witze über die Bilder, möchte Leichtigkeit in der Betrachtung. Dennoch verblüffend: das einhellig viele Gelb für das Spanische sowohl von der deutschen als auch der russischen Gruppe. Das freie Gewirbel in der Visualisierung von Französisch, ebenfalls  bei beiden Gruppen.

Als nächstes wählen die Studierenden aus einer großen Sammlung von Begriffen jeweils fünf für eine Sprache aus. Hier wird es (fast erwartungsgemäß) wieder vorgeprägter, klischierter. Und doch gibt es Überraschungen – eine besonders schöne übrigens bei den fünf Begriffen für das Deutsche, von der russischen Gruppe ausgewählt: eindrucksvoll, rhythmisch, stark, hart – und schön. „Das Deutsche klingt so“, sagten die Russen.

Vielschichtig und beunruhigend

Das Russische wurde von der Dessauer Gruppe mit folgenden Begriffen belegt: weich, vielschichtig, beunruhigend (!), schwermütig, wohlklingend. Viel Stoff für Diskussion. Das Hauptanliegen war Damm die Auseinandersetzung: „Wir reden über Sprache. Wir versuchen zu verstehen, etwas für uns neues, eine Öffnung herzustellen. Deshalb habe ich gesagt, ich halte es aus, alles“ – auch wenn sie zwischendurch, wie sie lachend zugibt, „eigentlich beleidigt“ war. Vielleicht sind ja auch Spanier beleidigt, wann man den Klang ihrer Sprache als „kompliziert“ oder „hastig“ empfindet?

Am Ende der Workshops war überhaupt niemand beleidigt. Ganz im Gegenteil. Die Teilnehmer machten die Erfahrung: Ich liebe alle Sprachen! Am Anfang hatten sie sich durchaus gefragt: Warum soll ich Arabisch hören, ich habe doch gar nichts damit zu tun … und dann diese fundamentale Offenheit. Es kamen begeisterte Berichte darüber, so Ulrike Damm, dass etwa in der U-Bahn ein Finne saß, dem man begeistert gelauscht habe.

Ihr Fazit: „Als Designer können wir Dinge erschließen – so dass auf einmal so eine Aussage kommt“. Für sie ist das „Toleranzerziehung“, „Öffnung“. Als nächstes geht sie nach Frankreich und eröffnet den französischen Teilnehmern neue Hörerfahrungen. Nach Abschluss ihres Sprachprojekts möchte sie dazu eine Ausstellung machen – vielleicht ja auf einer kommenden TYPO.

Um so könnte man den Satz vom Anfang auch umdenken wie folgt: „Man kann sich auch anderen Menschen (Kulturen,  Völkern, …) annähern, wenn man sie nicht beherrscht“.

 

Sonja Knecht ist Director Text bei Edenspiekermann.