Neville Brody: Towards level 2

Freitag Abend, letzter Vortrag: Petra Weitz, selbst Wegbegleiterin und Frau der ersten Stunde, versucht, Neville Brody vorzustellen. Er unterbricht gut gelaunt – und stellt schließlich Petra vor: Beide waren sie dabei, als der FontShop, als die TYPO, als FUSE startete.

Neville Brody, Foto © Gerhard Kassner
Den Fortgeschrittenen im TYPO-Auditorium muss man nichts über Brodys Bedeutung erzählen. Begriffe wie „Godfather of …“ drängen sich auf, oder auch „Seele der Bewegung“, wie Sabine ihn treffend nennt in ihrem Überblick. Neville Brody leitet die Research Studios am Royal College of Arts in London und hat das Anti-Design-Festival initiiert.

Die „Seele der Bewegung“ kommt verdammt erdig daher. Brody geht auf festem Grund, und er geht auf Tuchfühlung. Einer wie er bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Er bezieht sich auf sein Umfeld und bezieht es mit ein; er überlegt etwa laut, ob Erik (van Blokland) in der letzten Reihe wohl schon schläft und er deshalb leise sprechen solle. Er freut sich über ein Baby, das zwischendurch zu hören ist, und lächelt, als es noch einmal glücklich aufgluckst.

Punk not dead

Als erstes empfiehlt Brody eine aktuelle Ausstellung in Berlin, die er just gesehen und die ihn offenbar berührt hat: Martin Kippenberger (im Hamburger Bahnhof, bis 18. August). Kippenberger hat bis 1997 gelebt und gearbeitet, im gleichen Jahr fand die letzte FUSE-Konferenz statt, so Brodys Überleitung, und er zeigt Arbeiten aus seiner College-Zeit: „all done by hand“, alles völlig „pre-computer“, also bestens passend zum Konferenzthema „touch“. Mit seinem Titelthema und der Ebene 2, auf die wir uns hinbewegen, meint er, das Digitale sei „just an enabler“. Es gehe darum, darüber hinaus und wieder mit dem Physischen in Kontakt zu kommen – „let’s get beyond“.

Let’s get beyond

Social Media bezeichnet er als anti-soziale Medien, die Publikations- und Selbstdarstellungsdruck erzeugen. Das sei der Vorteil gewesen früher: Ideen hätten Zeit gehabt zu reifen, sich zu entwickeln, „there was an underground of thinking“ und die Musikindustrie sei auch „underground“ gewesen sei, und damit wichtiger Inspirator und Triebfeder für ihn – wie auch für Kate Moross, der er dankt für ihren Vortrag. Das passt, knüpft sie doch sowohl ästhetisch als auch Punk- und produktionstechnisch an Brody und die 80er Jahre in England an.

Brody allerdings sei jetzt beim Wiederentdecken selbst geradezu geschockt gewesen davon, wie sie damals gearbeitet hätten: „Each piece of work took hours and hours and hours…“ Aber die „vibrant music industry“ hat ihn offenbar für einiges entschädigt. Er zeigt sein erstes Platten-Cover, The Mototrs von 1880, 33 Jahre alt. Und nun, hier und heute?

Politik und Poetik

„We need to simply incorporate digital in what we do“, sagt er, und dass wir in Kontakt kommen sollten, wirklich kommunizieren und auf Tuchfühlung gehen sollten mit den Leuten, mit denen wir zu tun haben: „we get to touch the people that are in touch with us, that we communicate with“. In der Postmoderne sei es um Fassaden gegangen – in seinem Studio begreife man bis heute Typografie „in a more poetical way. We try to think about how we can be more expressiv, more poetic“.

Ein Appell also, dass man wieder etwas riskieren solle, sich dem Effizienzdruck verweigern, der z.B. – und das ist vielleicht auch very British, oder British Punk – von der Regierung ausgeübt werde, indem sie z.B. die finanziellen Mittel von Kunsthochschulen einschränke, bestimmte Fächer bevorzuge, andere abschaffe und auf andere Weisen eingreife in kulturelle Prozesse. Politische Einsprengsel durchziehen Brodys gesamten Vortrag. Alte Schule halt. England halt, Klassenbewusstsein und die Rebellion dagegen.

Dem Risiko Raum geben

In seinem Studio versuche man, „das Digitale“ wirklich zu inkorporieren und für einen künstlerischen Ausdruck zu nutzen, der extrem analog daherkommt: „We are trying to get digital stuff more fluent“ – und letztlich sei es doch egal, welche Werkzeuge man benutzt. Lieber nochmal politisch werden, anhand der Frage, „How do you measure creativity“? „The British Government is obsessive about this“, neben den Kunsthochschulen werden z.B. Theater damit drangsaliert, dass man Besucherzahlen zähle und Finanzmittel davon abhängig mache. Brody dagegen mag „broken stuff“, „i like stuff that fails and teaches you something different“. Dies eröffne neue Dimensionen.

Doch wie wir alle wissen, wollen Auftraggeber Sicherheit. Geldgeber wollen wissen, was sie für ihr Geld bekommen. Kreativität sei zur Dienstleistung geworden. Das übrigens mag er an Berlin, sagt er, dass man hier bereit sei, Risiken einzugehen (was bleibt uns auch).

brody_2013_©studio

Neville Brody

Neville Brody is a designer, typographer, art director, brand strategist and consultant and has established himself as one of the most prolific, innovative and influential graphic designers in the world. Neville is also the founder of the Research Studios network with studios in Berlin, New York, Paris, Barcelona and Tokyo. Having redesigned The Times newspaper and the BBC website, current clients include LVMH, Nike, United British Media, Nokia and Converse together with several arts and culture based organisations in the UK and Asia.
Und noch ein politisches Zitat: „In order of having maximum markets markets have to be simplier“, im Zusammenhang damit verweist er auf ein Werk von Dieter Roth in der aktuellen Kippenberger-Ausstellung („The 8 stages of depression“). Mit einem Plakat erinnert er an eine andere Ausstellung in Berlin „about embedded artists during the war“ und zeigt das Plakat „Free me from Freedom (and give me liberty)“.

Content Design

Trotz allem sieht er ästhetisch immer noch und immer wieder solide Möglichkeiten, Erwartungen zu erfüllen – und sie gleichzeitig zu unterlaufen. Ob er in ein Zeitschriften-Cover „I hate design“ als Buchstabenrätsel einbaut oder eine Zeitung letztlich komplett neu gestaltet, ohne dass die Leserschaft aufschreit.

Das Geheimnis? „Understand behaviour in a digital space and than bring it back“.

Zum Beispiel sei eine Zeitung wie ein Theater, „each day there are new stories to tell, we gave them a stage, different kinds of contents“ – eine Bühne bereiten für die Inhalte, die dargeboten werden. Allerdings habe er für die Umsetzung dann erst mal die Journalisten geschult. Stichort „Content Design“ – hier werden Inhalte gestaltet, nicht nur ein äußeres Erscheinungsbild.

Auch die Schrift für den Film „Public Enemies“, basierend auf einer Vorlage aus den 1930er Jahren, führt Brody direkt zu der Tatsache, dass es in Großbritannien heute „the biggest distance between the rich and the unrich since Victorian times“ gibt. „We have to get rid of our government“.

Fusionen aller Art

Einen Auftrag für das Royal College of Art („175 Years of Excellence in Art and Design“) hat Brody gern angenommen, weil dort nicht inter- sondern post-disziplinär gearbeitet würde (ein Ansatz den er auch bei Kate Moross sieht); hier werde ein hybrider Raum geschaffen, indem Menschen mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund zusammenarbeiten und sich gegenseitig inspirieren könnten – egal, mit welchem künstlerischen Produkt sie ihren Ideen letztlich Ausdruck verleihen.

 Foto © Gerhard Kassner
Für das Royal College of Art entstand der Calvert Brody Stencil Font, der alle Bereiche umfasst, on- und offline, Bildschirme bis Gebäude- und Fensterglasbeschriftung. Die historische Basis der Schrift und ihre zeitgemäße Umsetzung, „extrem graphic and industrial“, verbinde jeden Raum des College und verweise einmal mehr auf die physische Berührung. Weitere Arbeiten (für die BBC,  diverse Magazine) untermauern diesen Ansatz: „Create a system to allow them to connect everything“.

Und nun kommen wir zu FUSE, endlich, der legendären Reihe von, ja, letzendlich multimedial dargebotenen Schriften, die analoge und digitale Gestaltung verbanden, die jede Diskussion dazu letztendlich längst obsolet gemacht haben, weil sie damals schon bewiesen, dass das bestens funktioniert – ästhetisch-künstlerisch und letztendlich auch (intentional oder nicht) marktstrategisch.

Die Schriftgestalter auf FUSE visualiseren mit ihren waghalsigen Ideen das politisch-analytische Examinieren von Schrift/Sprache und verweisen darauf, „how much we use language to make our lives glamorous“. Aus dem FUSE-Label gingen die FUSE-Konferenz und schließlich die TYPO Berlin hervor. Den Mann der ersten Stunde derart „alive and kicking“ zu erleben, produktiv, handwerklich verlässlich wie immer, souverän im Umgang mit egal welchen Werkzeugen, das eigene Tun unaufgeregt reflektierend, mit ästhetischem wie politisch wachem Blick, entspannt und in ständiger Verbindung mit dem, was um ihn herum geschieht – das macht Laune. Ein schöner Abschluss von Tag 2 auf Ebene 2.

So geerdet können Götter sein.

Als Konsequenz für unser Tun fasst Brody zusammen:
– „We ought to be taking risks constantly.“
– „We ought to be shouting at our governments constantly.“
– „We ought to not forget the message of this conference which is to keep in touch.“

 

Sonja Knecht, Director Text bei Edenspiekermann

 

PS


Foto © Ape Unit
Die legendären FUSE-Fonts sind jetzt in Buchform zusammengefasst. Sie gelten als „the first real exploration space for typography“ und haben vieles vorweggenommen, was wir heute diskutieren: die Verbindung von körperlicher Bewegung/Erfahrung mit Sprache und Schrifterstellung, von analogen mit digitalen Werkzeugen, die Verbindung künstlerischer mit gestalterischen und theoretischen Ideen zur Funktion von Schrift, Mittel der Abstraktion, Dekonstruktion, „language as pattern“, Verfremdung und Zufall als gewollte Gestaltungselemente, und so vieles mehr. FUSE-Ausgaben 1 bis 18 als von Neville Brody gestaltetes Buch, inkl. 10 Poster der unveröffentlichten Ausgaben 19 und 20 – „Das Comeback der experimentellen Schriften“:
www.taschen.com/pages/de/catalogue/design/all/06768/facts.fuse_120.htm
www.fontshopblog.de/2013/04/09/fuse-lebt