Jessica Walsh: Creative play

Der Ruf als blutjunger Shooting-Star der Branche eilt ihr voraus. Jessica Walsh kommt trotz atemberaubender Hackenschuhe auf den ersten Blick ganz harmlos daher – Vamp geht anders. Ihr Vortragsstil ist ausgesprochen brav, sie bewegt sich kaum, steht hinter dem Pult und liest vom Blatt ab, anfangs zittert ihre Stimme – ein großer Kontrast zu ihrem Ruf, zu den poetischen und professionellen Arbeiten, die sie präsentiert, und auch zu den sexuellen Anspielungen (auf sich selbst), mit denen sie ihren Vortrag anreichert.


Jessica Walsh, Foto © Gerhard Kassner
Für letzteres erntet sie im Nachgang zwiespältige bis negative Resonanz. Auch ist ihre Aufforderung zu mehr Spiel und Spaß letztendlich ein ausgesprochen elitärer. 2013 stünden „uns“ alle Möglichkeiten offen, sagt sie, doch kann dieses „uns“ nur eine kleine, sehr privilegierte Gruppe meinen, ob innerhalb ihres Landes oder weltweit betrachtet. – Wie anders dieses US-amerikanische Selbst- und Weltbild zum Beispiel zum britischen Punk-, Politik- und Klassenbewusstsein, wie es bei Neville Brody, Kate Moross und Paul Barritt und ihrem Selbstverständnis als Teil der Creative Industries mehr als nur durchschimmert. Aber das nur am Rande.

Hier geht es um die Partnerin von Stefan Sagmeister, die sich an seiner Seite auszog, um nackt für das fortan gemeinsame Studio Sagmeister & Walsh zu werben. Auch davon erzählt sie, und dass Sagmeister damit anknüpfe an seine Studioeinweihung von vor 20 Jahren (und so manche kulturelle Reverenz mehr gäbe es). Wenn man eine Botschaft schnell und effektvoll verbreiten wolle, müsse man sich einfach nur ausziehen, das helfe ernorm, so Walsh.

Sie erzählt von sich, ihrem jungen Werdegang und dass sie neben Titeln wie „Art Director“, „Designer“, „Illustrator“ oder „Partner“ sich selbst als „Player“ bezeichnet. Ihre Definition dafür ist schlicht „a person who loves to play“ (nix Sex) – und damit steige die Qualität ihrer Arbeit. In einem kurzen Ritt durch die Wissenschaftsgeschichte weist sie nach, zusammenfassend, dass Spiel uns für die Herausforderungen unserer Umwelt schult und unser Denken ausbildet.

Spielen zahlt sich aus

Ein Spiel allerdings könne ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, könne pures Vergnügen, reine Quälerei oder eine nützliche Angelegenheit mit angenehmen Nebenwirkungen sein, z.B das Golfspiel unter Geschäftspartnern. Auch in diesem Sinne sei es „the ideal balance of challenge and oportunity“ (nach einem Wissenschaftler namens Mihaly Csik…, Nachname unaussprechlich).

Die Gesellschaft hindere Erwachsene am Spielen. Damit einhergehend schnitten Kinder – je jünger, desto deutlicher – bei Kreativitätstests viel besser ab als Menschen ab 25. Und doch seien spielende Erwachsene nanchweisbar produktiver, als die, die nicht spielten – und weniger traurig. Spielen allerdings setze Vertrauen voraus: in die eigenen Fähigkeiten und Fehler, um daraus zu lernen. Außerdem seien Zeit und Raum und ein gewisser Sinn für Humor vonnöten. Dann können sich ungeahnte Verbindungen ergeben und Spiel wäre die beste Art des Forschens: Walsh nennt historische (Bei-)Spiele wie die Erfindung der Dampflok und, natürlich, Apple. Nicht umsonst (im wahrsten Sinne des Wortes) richten Global Player (!) wie Lego, Red Bull, Google etc. Spielplätze für ihre Beschäftigten ein.


Foto © Gerhard Kassner

Jessica Walsh trägt vor, wie sie selbst durch Computerspiele (die spannender waren als die langweiligen Tischgespräche mit ihren Unternehmereltern) anfing, Websites zu erstellen, ein Tutorial dazu einrichtete und bald erste Anfragen von außen kamen. Eine Schlüsselerfahrung: Sie wurde dafür bezahlt, dass sie das machte, was sie als Spiel empfand. Natürlich wollte sie fortan nur noch tun, was Spaß bringt – und damit „automatisch“ Geld. Glückskind!

Ihre Arbeitsweise, die sie auf der Kunsthochschule ausbildet („my Kindergarten“) und in ersten Aufträgen für Magazine usw. erprobt, umfasst traditionelle, analoge, digitale und was-auch-immer-für Techniken, natürlich, sie nutzt was sie findet und zur Verfügung hat; hier ist sie von Kate Moross, den Poschauko-Brüdern oder auch Eike Königs Hort nicht weit entfernt. Nur wurde sie wohl tatächlich immer gut dafür bezahlt und/oder hatte das Glück, mit ihrer Arbeit von Anfang an auch merkantil erfolgreich zu sein.

Es wird deutlich, dass es nicht nur der Name Sagmeister ist, dem sie diesen Erfolg zu verdanken hat. Und es wird ebenso deutlich, dass trotz aller Ideenfülle und Berühmtheit 95% auch ihrer Arbeit immer noch darin besteht, Auftraggeber von der Umsetzung und dem Nutzen zu überzeugen.

Sagmeister & Walsh

Sie stellt Arbeiten von Sagmeister & Walsh vor, einem kleinen Studio mit nur drei Designern und zwei Praktikanten (das erlaube ihnen, nur Dinge zu machen, die wir wirklich wirklich wollen): die eigene Website und Fotos der Belegschaft in Raumanzügen, Identity Design für Story NYC – Logo-Schriftzug mit Klammern und eingefügtem Thema in der Mitte, z.B. STO(love)RY; das interaktive „Plakat“ für Levi’s mit sich drehenden Zahnrädern, die alle paar Runden den Satz „We are all workers“ formen, ein Plakat aus Fahrradketten für Public Bikes, Plakate für Les Arts Decoratifs, mit Schrift aus abgeschnittenen Haaren ihres Teams.


Foto © Gerhard Kassner

Kein Spiel ohne Regeln

Jedes Spiel braucht einen Rahmen. Regeln helfen bei der Umsetzung guter Ideen. Als Beispiel hierfür zeigt Jessica Walsh das Branding für Aishti & Aizone, wo sich ales um eine gelbe Schachtel dreht, im weiteren Verlauf Schriftzüge auf Modelkörper gemalt oder mit Stoff und anderen Materialien in den Raum „geworfen“ wurden. Hier und überhaupt sei es wichtig, auch mal vom Comuter wegzukommen und Scheiß zu machen („get off the computer and make shit“) – „for more interesting results”. Das Branding für Energias De Portugal (EDP) basiert auf vier roten Grundformen, die variabel kombiniert und übereinander gelegt x Logo-Variant ergeben, für Werbespots zu unzähligen animierten Figuren geformt wurden und Geschichten erzählen.

Am Schluss ihrer Präsentation zeigt Jessica Walsh diverse Videos im Rahmen des Ausstellungskonzepts „The Happy Show“ (in Philadelphia).

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Jessica Walsh

Jessica Walsh is a designer & art director working in New York City. She is a partner at the New York-based design studio Sagmeister & Walsh. Her work has won numerous design awards from the Type Director’s Club, Art Director’s Club, SPD, Print, and Graphis. She has received various celebrated distinctions such as Computer Art’s “Top Rising Star in Design,” an Art Director’s Club “Young Gun,” and Print Magazine’s “New Visual Artist”.
Die Kurzfilme ranken sich um Sätze wie „If I dont ask I dont get“ (mit Wasser gefüllte Luftballons, die zerplatzen, zerdrückt oder durchschossen werden, oder „Be more flexible“, geformt aus Seifenblasen, oder „Now is best“, geformt aus Zuckerwürfeln, Kaffeebohnen und Tassen, die in Zeitlupe durch die Luft fliegen. In der Ausstellung entsteht in Form einer Reihe Kaugummiautomaten mit gefüllten Säulen eine Art interaktive Infografik, die den Glücklichkeitsstand der Besucher anzeigt.

Auf Opa hören, glücklich werden

Walsh fasst die Zusammenhänge von Spiel und Glück bzw. kein Spiel und Depression zusammen: 80% der Menschen seien  nicht glücklich mit ihrem Job. Und für die meisten sei Arbeit das Gegenteil von Spiel – dabei sei das Gegenteil von Spiel, eben, Depression.

Walsh zitert ihren Opa und ist froh, dass es ihr gelingt, nach seinem Motto zu leben: „Do what you love and you will never work a day in your life“.

Vielleicht hilft dabei tatsächlich die Freiheit von Angst, von der sie anfangs spricht. Der Mut und die eigene Entscheidung, aufkommende Ängste immer wieder zu überwinden (z.B. auf eine Riesenbühne zu staksen und Vorträge zu halten).

Als Beweis für ihre These bittet sie ihre Schwester zu einer „demonstration of being fearless“ auf die Bühne; Schwesterherz folgt der Aufforderung, kichert Unverständliches über „I love Berlin“ und Techno ins Mikro, um schnell mal mit dem Hintern in Richtung Publikum zu wackeln. Mag man albern finden – mutig und witzig ist es allemal. Und der einzige Moment von Lockerheit auf der Bühne.

Jessica Walsh spricht offenbar aus eigener Erfahrung, wenn sie sagt: „It is great upgrading when you overcome those fears“. Das klingt plötzlich gar nicht mehr abgelesen. Keinesfalls harmlos, die Frau. Wir dürfen gespannt sein.

 

Sonja Knecht, Director Text bei Edenspiekermann