Fünf Fragen an … Nina Stössinger

Nina Stössinger ist Grafikdesignerin mit Schwerpunkt Schrift und Typografie. Von Text und Webdesign her kommend, entdeckte sie im Studium an der Burg Giebichenstein HKD Halle ihre Liebe zur Schrift. Nach dem Abschluss des Nachdiplomkurses Schriftgestaltung an der ZHdK Zürich gründete sie 2008 eigenes Studio in Basel. Nachts und nebenbei arbeitet sie an eigenen (Schrift-)Projekten und veröffentlicht 2011 mit FF Ernestine ihre erste Schriftfamilie.

1. Welche Ihrer Arbeiten repräsentiert am besten Ihren Stil? Auf welche Ihrer Arbeiten sind Sie besonders stolz? 

Da muss ich meine Schriftfamilie FF Ernestine erwähnen, mein bisher größtes und wohl heißgeliebtestes Projekt. Ich bin stolz auf die steile Lernkurve und auf die Geduld und Detailfummelfreude, durch die aus meinem ersten ernsthaften Versuch, eine Schrift zu gestalten, eine tatsächlich benutzbare Schriftfamilie entstanden ist, die auch anderen gefällt und einen Nutzen bringt.  Meinen Stil repräsentiert sie insofern, denke ich, ganz gut, dass sie von der Formsprache her eher minimal, robust, direkt und »unschnörklig« herüberkommt, ohne dabei humor- oder fantasielos zu werden – eine Balance, die ich immer wieder gerne suche.

FF Ernestine Ausdruck

 

Ernestine Fonts

 

Ernestine Korrekturen

 

Ernestine Strichstärken

 

Ernestine

 

2. Was inspiriert Sie?

Visuell gesehen: Mein tägliches Umfeld. Genau hinzuschauen, auch und gerade auf scheinbar alltägliche Dinge. Mich kann es schon erfüllen und beschäftigen, wenn der Himmel eine überraschende, schöne Farbe hat oder der Schatten eines Baums auf der Hauswand gegenüber ein interessantes Muster wirft, usw.  Als Erweiterung davon würde ich auch inhaltlich gesehen sagen: Neugier, offene Augen. In der direkten Auftragsarbeit ist es primär der Inhalt und die Situation des Kunden selbst, aus der ich versuche möglichst viel Information und Inspiration zu ziehen; darüber hinaus finde ich aber gerade auch »fachfremde« Themen, die man ohne die direkte Absicht verfolgt, daraus gleich einen wirtschaftlich oder kreativ verwertbaren Nutzen zu ziehen, oft sehr inspirirerend – einfach weil sie andere Querverbindungen anregen, neue Gedankengänge in Gang setzen und einen als unabhängigere »Denkpersönlichkeit« aufbauen und prägen.

 

3. Häufig scheint das Thema Nachhaltigkeit nur ein Schlagwort der Agenturen und Unternehmen zu sein, das der Sehnsucht nach Werten und Beständigkeit Rechnung trägt. Ihr Lieblingsprojekt, bei dem sich dieser Anspruch in konkreten, beispielhaften Designlösungen niederschlägt?

Produktlösungen, die (angeblich) auf ökologische Nachhaltigkeit setzen, scheinen mir oft gimmick-haft und oberflächlich. Nachhaltigkeit ist ja etwas unheimlich Komplexes, das alle Aspekte der Konzeption und Produktion umfasst – daher finde ich solche Versprechen meist schwer » nachzuprüfen« und bin dann eher skeptisch. Auf einem Gebiet, wo ich mehr zuhause bin, nämlich dem der Schrift – wo sich Nachhaltigkeit heute eher als eine Frage der Philosophie als der physischen Ressourcenschonung darstellt – würde ich eine schöne Form der Nachhaltigkeit denjenigen Schriften attestieren, die sich nicht nur für eine einmalige Headline im gerade aktuellen Trend eignen und übermorgen wieder veraltet wirken, sondern liebevoll und hochqualitativ ausgestaltete Schriften, die sich auch für den Einsatz in Lauftext eignen; die vielseitig sind, immer wieder eingesetzt werden können und dennoch frisch und besonders wirken. So schaffen diese Schriften einen Mehrwert, den ich nachhaltig nennen würde – sowohl für den Designer, der sie anwendet, als auch für den Leser, der sie liest; und wohl auch für die allgemeine visuelle Kultur, auf die Schriften ja auch, wenn auch subtil und nicht immer offensichtlich, zurückwirken.  Beispiele gibt es einige, ich würde die FF Legato anführen und die hochqualitative Luxusklasseschrift Lexicon. Auch Schriften wie die Newzald, Whitman, FF Tisa und Tundra oder auch die schwedische Siri versprechen für mich durch eine prägnante, stimmige, aber nicht allzu »laute« Gestaltung, die sich für Text- und Display-Anwendungen eignen sollte, diese Art von gestalterischer Nachhaltigkeit.

Nina Stössinger ©Marina Chaccur

Nina Stössinger

Type Designer, Typographer (The Hague)

Nina Stössinger (b. 1978), type-obsessed designer & overall curious person. Originally from Basel (Switzerland), Nina studied multi-media design in Halle (Germany) and type design in Zurich and The Hague. She has stayed on in the Netherlands, where she is now running Typologic, her studio for type design, typography, and code. Photo: Marina Chaccur

4. TYPO 2012 in Berlin: Auf welche/n Sprecher/in, welchen Vortrag freuen Sie sich besonders?

Gespannt bin ich auf Matthew Butterick und Elliot Jay Stocks, die ich bisher erst von online kenne und auf deren Arbeit und Worte ich neugierig bin; ich freue mich auch auf Yves Peters, dessen Vorträgen ich immer wieder gerne zuhöre. Fast am meisten freue ich mich auf die Gelegenheit, vielleicht auch von einem ganz anderen Vortrag positiv überrascht und überzeugt zu werden – was mir auf der TYPO bisher eigentlich jedesmal passiert ist.

 

5. Ihre aktuellen Favoriten für schöne Publikationen, Bücher, Filme oder interessante Links?

Beruflich gesehen genieße ich den in letzter Zeit vertieften Diskurs und die ernsthaftere Contentproduktion in den web-nahen Disziplinen. Hier ist das dreimal jährlich erscheinende, anregende und hintergründige Manual immer noch ein zu gut versteckter Geheimtip.  Ansonsten, wie gesagt, Querdenken. Ich lese gerade »Empires of the Word«, eine vergleichende Sprachgeschichte von Nicholas Ostler, welche anhand vieler Beispiele die Frage verfolgt, wie sich Sprachen ausbreiten, warum sich manche gegenüber anderen durchsetzen. Das ist spannend und komplex und ich hab noch keine Ahnung davon. Auch lese ich sehr gerne Comics und Graphic Novels, mein Geheimtip auf dem Gebiet (nicht brandaktuell, aber visuell und erzählerisch großartig) ist »The Arrival« von Shaun Tan, eine fantastische Allegorie in Form von einer Art Stummfilm in Buchform.