Chip Kidd: B,IDKYL

Eine halbe Minute zu spät in der TYPOhall, die einzigen freien Plätze finden sich auf einer der Treppen oder in den Seitegängen. Die ersten Worte, die ich höre, sind “Penis” und “Erection”. Im Pogrammheft stand etwas von Buchcovergestaltung. Tja, alles anders: Chip Kidd, das dritte Mal auf der TYPO und der heiß ersehnte Speaker des Abends. Der Mann mit der Harry Potter-Nickelbrille schafft es, die Zuschauer innerhalb einer Stunde auf humoristische, selbstironische Weise in seinen Bann zu ziehen und ganz nebenbei die Bandbreite seines ganzen grafischen Könnens zu präsentieren.

So gestaltete Kidd z. B. eine Arbeit abseits der Buchdeckel, eine Neuinterpretation von Rockwells berühmter Plakatreihe “Four Freedoms”, die in den 40er Jahren produziert wurde. Sie sollten zum Kauf von freedom bonds anregen und so den Krieg mitfinanzieren. Chip Kidd’s Variante ist keineswegs ein patriotisches Remake als vielmehr eine selbstkritische Betrachtung der eigenen Nation: Unter der Überschrift Freedom of Speech ist eine brennende Amerikaflagge zu sehen.

Noch unterhaltsamster ist aber der zweite Part der Chip Kidd-Show, der “genüssliche Selbstzerfleischung oder “Wider die Ignoranz der Unwissenden” genannt werden kann. Hier folgte eine Aufstellung aller abgelehnten Arbeiten bzw. der abgelehnten Vorstufen zu einem Buchcover, die nicht durch die Armada von Autoren, Verlagshäusern und Managements gelangten. Untermalt wurde die Präsentation durch Kidds unglaublich bewegliche Gesichtsmuskulatur, am trainiertesten ist auf jeden Fall die rechte Augenbraue. Im Nachhinein schien es ihn nicht zu stören, dass etwa eine “romantische Dramedy über blutsaugende Vampire, die bei einem Fersehsender arbeiten”, schlussendlich doch nicht mit einem Chipp Kidd-Cover versehen wurde. Ähnlich erging es einem Buch über das Finanzunternehmen Morgan Stanley: “Blue Blood and Mutiny: The Fight for the Soul of Morgan Stanley”. Der Autorin fehlte einfach die Seele in dem Entwurf. Schließlich wurde dieses “wahnsinnig interessante Buch” ohne Kidds Hilfe in weißer Schrift auf schwarzem Grund “mit sehr viel Seele” gedruckt. Auch einen ironischen Seitenhieb auf den Veranstalter der Konferenz konnte er sich nicht verkneifen: Bei jeder Schrift fügte er mit Schmunzeln hinzu: “By the way, this is from Fontshop”.

Einfach schön zu sehen war der Entwurf für die Biographie über den Peanuts-Autor Charles M. Schulz. In Kidds Reduktion auf wenige Linien war trotzdem klar und deutlich Charly Brown auf gelben Grund zu erkennen. Nach einer Klage der Witwe gegen die Biografie durfte das Buch nicht mehr mit dem Cover erscheinen. Die Lösung war eine ZickZack-Linie vor gelbem Hintergrund, die Charly Browns T-Shirt verdammt ähnlich sieht.

Alles in allem gab Kidd eine amüsante Zusammenfassung über die Unwägbarkeiten und die Vielzahl von Entscheidungsträgern, mit denen sich ein Buchcovergraphiker auseinandersetzen muss. Dass nach der Veranstaltung das halbe Publikum summend und mit einem Pfeifen auf den Lippen das Haus der Kulturen der Welt verließ, lag natürlich an dem ausgezeichneten Tagesprogramm. Und die letzten Minuten von Kidds Vortrag, die er mit seinem Musikprojekt Artbreak beendete. Frei nach dem Barbara Schönberger-Motto “Jetzt singt er auch noch” macht der Book-Super-Designer nun Musik,´und kompensiert so seine Midlife Crisis.. Schauts euch an: Asymetrical Girl, 80ies New Wave mit viel Typo im Bild. Viel Spaß beim summen!

Chip Kidd

Chip Kidd

Writer / Graphic Designer (New York, New York)

The history of book design can be split into two eras: before graphic designer Chip Kidd and after. Time Out New York, Nov. 2005 Chip Kidd is a writer and graphic designer in New York City. His book jacket designs for Alfred A. Knopf (where he has worked since 1986) have helped spawn a revolution in the art of American book packaging. In 1997 he received the International Center of Photography's award for Use of Photography in Graphic Design, and he is a regular contributor of visual commentary to the Op-ed page of the New York Times. In the fall of 2006, Kidd's work will be included in the Cooper-Hewitt Museum's third National Design Triennial. Mr Kidd has also written about graphic design and popular culture for McSeeney's, The New York Times, The New York Observer, Entertainment Weekly, Details, The New York Post, ID and Print. His first book as author and designer, Batman Collected (Bulfinch, 1996), was given the Design Distinction award from ID magazine, and his second, Batman Animated (HarperCollins, Fall 1998) garnered two of the Comics Industry's Eisner Awards, as did his 2002 book Peanuts: The Art of Charles M. Schulz. As an editor of books of comics for Pantheon (a subsidiary of Knopf) Kidd has worked extensively with some of the most brilliant talents practicing today, including: Chris Ware, Art Spiegelman, Dan Clowes, Kim Deitch, Charles Burns, Mark Beyer, Ben Katchor and Alex Ross. A comprehensive monograph of Kidd's work, CHIP KIDD: BOOK ONE was published in October of 2005. The introduction is by John Updike and the 400 page book features over 800 works, spanning two decades, from 1986 through 2006. It's first edition sold out a week before publication and it has since gone into two consecutive re-printings. The Cheese Monkeys, Kidd's first novel, was published by Scribner in Fall of 2001 and was a national bestseller, as well as a New York Times Notable Book of the Year. He is currently at work on his second novel, tentatively titled The Learners. Both books use the design process as a means to construct a compelling narrative.