Double Standards – You See, I See …

Für Chris Rehberger, Kopf des zwölfköpfigen Designteams Double Standards in Berlin, ist es eigentlich ein Heimspiel – das Redesign des Haus der Kulturen stammt von ihm. Und vielleicht ist es nicht zuletzt die hitzige Debatte im Fontblog um den Relaunch des Auftritts des HKW, die dem frisch mit dem Lead Award gekürten Designer hier einen rappelvollen Saal beschert.

Gleich zu Beginn wird klar, dass es um kommunikative Unschärfe geht. Rehberger hatte dem Typo-Team nur »aus Faulheit« einen englischen Titel des Vortrags geschickt, den die Veranstalter selbst zu Ich sehe, du siehst übersetzten. Dass noch zahlreiche andere Übersetzungs- oder Deutungsmöglichkeiten denkbar wären (z. B. Ich verstehe, siehst du…), zeigt beispielhaft auf, wie unsicher Kommunikation, die wir Designer doch eigentlich maßgeschneidert kontrollieren sollen, in Wirklichkeit ist. Und damit sind wir bereits mit dem Titel – glücklicher Zufall – beim Thema von Rehbergers Vortrag.

Vortrag Chris Rehberger

Chris Rehberger zeigt auf, wie unsicher Kommunikation, die wir Designer doch kontrollieren sollen, in Wirklichkeit ist.

Denn Chris Rehberger sucht nach Magie und Poesie in seiner Arbeit – vielleicht geprägt durch seinen starken Bezug zur Kunstszene, aus der nicht nur sein Bruder Tobias Rehberger kommt, sondern auch viele Auftraggeber von Double Standards – nach mehr als einfacher linearer Sender-Empfänger-Funktionskette.

Wie viele Faktoren die Möglichkeit zum beidseitigen Verständnis von Design bedingen, beweist Rehberger eindrucksvoll mit einem knapp zweiminütigen Bilderstrom von Einflüssen seiner Arbeit, Wittgenstein, Tschichold, Duchamp, Kippenberger flashen ebenso vorbei wie Taxi Driver oder Bodysnatchers, Truman Capote, Paul Newman, Steve McQueen, Sid Vicious, Woody Allen. Ein Sammelsurium von Popkultur, von Inputs, auf die sich die meisten Designer sicher werden einigen können, insofern sicher Konsenskultur einer bestimmten Generation – und die zugleich aber natürlich ganz persönlich die Textur von Rehbergers Arbeit prägen, den Schlüssel zu seinem Denken darstellen. Kennt man die Einflüsse, versteht man ihn vielleicht. Ansonsten missversteht man ihn möglicherweise auch auf spannende Art falsch. Wichtig ist der Spaß, als Designer wie ein Kind im Süßigkeitenladen überall mal probieren zu dürfen, sich die Backen und die Taschen vollzustopfen, bis man platzt.

Wie eng verzahnt Inspirationen und Ergebnisse sind, belegt Chris später mit einem kurzen Reality-Show-Film, der Inspiration und Ergebnis zeigt. Aufkleber, Straßenmarkierungen, Autoquartettspiele, Black-Panther-T-Shirts – diese und viele andere Anregungen münden in der visuell ideenreichen, zugleich zeitlos schlichten und doch immer aktuell und aufregend wirkenden Arbeit von Double Standards. Ob diese Inspirationen auf der Empfängerseite noch verstanden werden – oder die Ergebnisse ganz anders ausgelegt werden – macht für Rehberger einen Spaßfaktor der Arbeit aus. Die Fähigkeit, loslassen zu können, eine Sache in die Welt gehen zu lassen, gehört eben dazu.

Wie schrecklich die im Marketing landläufige Meinung ist, alle Kommunikation steuern zu müssen, beweist Chris mit einem kurzen Auszug aus John Carpenters They Live. Hier ist jede Kommunikation, jedes Billboard, jede Zeitung nur Camouflage für subliminale Befehle einer außerirdischen Besetzermacht, die das System beherrscht. Hier »funktioniert« Design perfekt, wird zur reinen Verpackung unmissverständlicher Konsum wie Gehorsamsbotschaften und somit zum dystopischen Alptraum.

Das Publikum erhält in der liebevoll gestalteten und vorsichtig tastend vorgetragenen Präsentation einen Einblick in die Arbeit und das Denken von Double Standards und den kurzen, für Außenstehende völlig unverständlichen Metaphern, mit denen Chris und sein Team sich im Büro verständigen. Da sagt einer nur ›Feuerlöschertypografie‹ oder ›Kinderpost‹ und alles ist klar. Wahrnehmung und Selbstimage entpuppen sich als Spiel mit ganz eigenen Wahrheiten, mit Referenzen, die man versteht oder eben nicht. Wer beim ›Großen Glas‹ an ein schönes kühles Glas Wasser denkt, beschreitet diese Deutungsebene – Rehberger aber denkt an Duchamps während langer Jahre entstandenem Meisterwerk. Und genau solche Doppelbödigkeiten der Referenzkultur, diese Unschärfen machen den Spaß an Design aus.

Die Chance, dass Kommunikation scheitern kann, vielleicht scheitern muss, macht sie überhaupt erst spannend.

Ansonsten könnten wir uns ja – wie von Stanislav Lem einmal satirisch aufgezeigt – mit Kürzelziffern verständigen und müssten nicht mit vielen Worten und Zeichen erklären und aufbauen, was wir sagen wollen. Wo alles klar ist, ist alles langweilg. Wäre Kommunikation tatsächlich berechenbar und steuerbar, würde es keine kreativen Designer geben, sondern nur Controller. Der Kontrollverlust, die wunderbare Unsicherheit der Interpretationsmöglichkeiten beim Betrachter – das macht den Reichtum von Design (mit) aus.

Vortrag Chris Reberger mit Clemens SchedlerModerator Clemens Schedler und Chris Reberger über Design, das aus einer Vielfalt von Inspirationen und einem Reichtum an Erfahrungen entsteht.

Insofern ist diese Differenz in der jeweils kulturell geprägten Kommunikationswelt von Sender und Empfänger eben nicht, wie Moderator Clemens Schedler nach dem Vortrag fand, irgendwie »traurig«, sondern ganz im Gegenteil normaler Bestandteil allen kreativen Schaffens – Autoren, Songwriter, Maler, Filmemacher leben seit jeher damit, dass ihre Werke interpretierbar sind und damit auch missverstanden werden können (und bei David Lynch sogar müssen :-D). Diese hermeneutische Multivalenz macht Kunst erst zu einer Erfahrung für den Betrachter, zu etwas, womit er sich befassen muss. Anders gesagt, Design, das ein-eindeutig eine bestimmte Message verbreiten will (Buy more Brand X) ist unweigerlich zum Scheitern verurteilt, weil es den Empfänger unterfordert.

Design, dass aus einer Vielfalt von Inspirationen und einem Reichtum an Erfahrungen entsteht, und den Empfänger in ein Gespräch über diese Erfahrungen einbindet, auf eine Reise mitnehmen will, wird hingegen immer spannend sein. Es lädt zum Dialog ein, gestattet subjektive Deutungsmöglichkeiten, ist eine Art Feedbackschleife, ermöglicht, dass du selbst verstehen darfst und wird für immer in deinem Leben bleiben. Jede Idee, die ein Designer produziert, ist das Ergebnis seiner jahrzehntelangen sozialen und ästhetischen Prägung, von Einflüssen wie Stromzählern in einer Garage, in der man als Kind gespielt hat, und jede Deutung beim Empfänger ist ebenso durch andere subjektive Einflüsse geprägt. Hier wird der Stromzähler vielleicht zu etwas völlig anderem. Was in der Schnittmenge dieser beiden Erfahrungswelten stattfinden kann – das ist der Kick der Arbeit eines Designers.

Chris Rehbergers Vortrag ist also eine charmante Erinnerung daran, dass wir Designer nicht Kommunikationsautomaten sein sollten, die effizient für gesteigerten Umsatz sorgen, sondern seltsame Zwitterwesen zwischen Kunst, Kommerz, Handwerk und Zeitästhetik – und dass diese seltsame Zwischenexistenz wie kaum ein zweiter Beruf zum Suchen, zum Irrlichtern, zum Spielen einlädt. Wir sind Menschen, wir sind Künstler, wir sind Autoren und wir sollten uns nichts anderes einreden lassen.

Text und Fotos — HD Schellnack

5 Comments

  1. Sabine Gruppe|June 5, 2008

    Nachgereicht: Double Standards – I See, You See…

    Erst am Abend nach der Konferenz bemerkten wir, dass der TYPOblog Chris Rehberger von Double Standards nicht erfasst hatte.

    Ganz herzlich möchte ich hier HD Schellnack für seinen Gastkommentar danken, der Rehbergers Vortrag hingebungsvoll wie detailliert darstellt und für Kommentare öffnet.

    Danken möchte ich an dieser Stelle auch dem Creative Village Team. Die TYPO-Bloggerinnen und -Blogger haben Ihre Eindrücke authentisch, engagiert und zeitnah verfasst. Die TYPO kann so für ihre Besucher, Nichtbesucher und Mitwirkende erlebbar werden und erinnerbar bleiben. Der Konferenzblog bietet darüberhinaus erstmals die Möglichkeit des Austausches jenseits der »frontalen« Vortragsform, die im TYPOtalk kritisiert wurde.

    Mein letzter Dank gilt dem Fotografen Gerhard Kassner, der mit seinen Aufnahmen zusätzlich Leben in die Kommentare bringt, so wie allen anderen, die uns ihre Bilder zu Verfügung gestellt haben.

    Ich freue mich auf rege und anhaltende Diskussionen im TYPOblog – bereits im Hinblick auf die nächste TYPO unter dem Motto ‚Space‘.

    Sabine Gruppe, FontShop Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Redaktion TYPOblog

  2. Christoph|June 5, 2008

    Nicht alle haben’s gemocht, aber für mich war das eines der Hightlights der Veranstaltung. Warum, steht schon oben. Merkwürdig und herzanrührend war die schon erwähnte Behutsamkeit, mit der Rehberger sich durch seine (ja fast perfektionistisch vorbereitete) Präsentation tastete. Habe mich als Zuseher und -hörer schon lange nicht mehr so ernst genommen gefühlt.
    Wodurch diese eigenartige Traurigkeit in die Luft kam, das weiß ich allerdings auch nicht…

  3. Chris Rehberger|June 13, 2008

    Danke lieber Christoph fuer diesen sehr netten und, um mit Deinen Worten zu sprechen, herzanruehrenden Eintrag. Es freut mich sehr, dass Dir der Vortrag etwas gebracht hat.
    Ein Vortrag kann und muss ja nicht von jedem gemocht werden (es waere auch vermessen mit diesem Anspruch einen halten zu wollen). Wenn nur eine Handvoll Zuschauer einen Eindruck, positiv oder negativ, mit nach Hause genommen haben ist schon eine Menge passiert. EGAL oder BELANGLOS waere schon ein Tiefschlag.
    Traurigkeit hatte ich nicht gespuert, eher so etwas wie Benommen- oder Beklommenheit. Clemens unterstellte mir faelschlicher Weise in der Nachmoderation in einer schwierigen Fragestellung (“Dann ist Deiner Ansicht nach ja alles scheissegal was wir Designer produzieren?!”) Fatalismus. Irgendwie hatte genau diese Reaktion wiederum meine Einstellung der Sache gegenueber bestaetigt. Ich sprach davon, dass wir so subjektiv und spitz formuliert wie nur moeglich an unsere Arbeit herangehen sollten. Erst dann entstehen beim Betrachter Bilder die wir nur geringfuegig steuern koennen aber wenigstens angestossen haben. Also geht es um das “in Gang bringen”. Das ist wohl dann doch nicht so fatalistisch gedacht. Lasst es laufen wenn die Idee Passt.

    HD – Vielen Dank fuer die ’Nacherzaehlung’. Besser, praeziser, und schon gar nicht so nett, haetten wir das selbst nicht hinbekommen.

  4. Christoph|June 25, 2008

    Noch mal zurück: Ich habe gerade gesehen, dass das Wort »traurig« von Clemens Schedler in einem ganz anderen Zusammenhang gebraucht wurde. Ich habe es einfach, als Stimmung, so erlebt möchte mich in Richtung »etwas melancholisch« korrigieren.
    Es macht ebene einfach nachdenklich, die unausgesprochen vorausgesetzte Kommunikationslinie zwischen dem Gestalter (als Sender) und dem wie auch immer gearteten »Kunden« (als Empfänger) als Kurve mit Schlingen und Brüchen gezeigt zu bekommen.
    Und wenn man dann sieht, dass ein solcher Kontrollverlust nicht als beklagenswertes Defizit betrachtet werden muss, sondern als schlichte Tatsache professionell gehandhabt werden kann, dann kommt vielleicht hier und da ein Hauch von Selbstzweifel auf. Aber das macht nichts.
    Ich habe den Vortrag, bei aller »Einkehr«, doch als dynamischen Implus erlebt. Dafür noch mal Danke!

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