Interview mit Jürgen Siebert, dem Programmdirektor der TYPO Konferenzen

Ich besuche Jürgen Siebert, um mit ihm über die TYPO Berlin 2017 mit dem Thema »wanderlust« zu sprechen. Mal sehen, was er mir verraten kann. Welche Sprecher werden erwartet? Ob und wie wird das Konzept der Bühne »Beyond Design« nächstes Jahr fortgeführt? Wie geht es weiter mit den TYPO Labs? Aber auch Anekdoten aus bald 22 Jahren TYPO Berlin möchte ich ihm entlocken.

Ich besuche Jürgen Siebert, um mit ihm über die TYPO Berlin 2017 mit dem Thema »wanderlust« zu sprechen. Mal sehen, was er mir verraten kann. Welche Sprecher werden erwartet? Ob und wie wird das Konzept der Bühne »Beyond Design« nächstes Jahr fortgeführt? Wie geht es weiter mit den TYPO Labs? Aber auch Anekdoten aus bald 22 Jahren TYPO Berlin möchte ich ihm entlocken.

Jürgen, bitte fass kurz für die TYPO-Quereinsteiger zusammen: Was ist das Besondere an der TYPO Berlin im Vergleich zu anderen Konferenzen?

Das Wichtigste an der TYPO … sie ist interdisziplinär. Wir reden über Schrift, wir reden über Typografie, wir reden aber vor allem über Gestaltung. Und alles, was dazwischen liegt. Das kann Produktdesign sein, Grafikdesign, Corporate Design, Informationsdesign, digitales oder gedrucktes Design, Fotografie, Illustration. Wir sind keine Konferenz für Fachidioten, sondern für Generalisten im Bereich »Visuelle Kommunikation«.

Jürgen Siebert · 2015 © Norman Posselt, Monotype

Wir holen große, internationale Namen nach Berlin: David Carson, Chip Kidd, Stefan Sagmeister, Neville Brody … zuletzt Gemma O’Brien, Erik Kessels, Jessica Hische und Martina Flor. Von diesen Vorbildern zu lernen ist reizvoll. Das könnte man sich auch digital übers Netz auf den Schreibtisch holen, aber diese Dinge aus erster Hand zu erfahren geht tiefer. Auf der TYPO plaudern Designer schon mal etwas aus, was sie im Netz nicht erzählen dürfen.

Und noch eine Besonderheit: Wir fächern an drei Tagen bis zu fünf Programmschienen auf, so dass sich jeder Besucher einen maßgeschneiderten Spielplan erstellen kann. Mache ich einen Workshop? Besuche ich die offene Stage? Oder unterhalte ich mich mit einem Sprecher, der eben auf der Bühne stand. Alles ist möglich.

Bei der letzten TYPO gab es viele branchenfremde Themen, vor allem auf der Bühne der Süpergrüp, wo sich Musikern, Regisseure und Flüchtlingsorganisationen präsentierten. Wird diese Idee fortgeführt?

Das war Johannes Erlers Idee einer eintägigen Konferenz innerhalb der TYPO zum Thema »Strictly no Design«, als Angebot an die Besucher über ihren Schreibtisch zu schauen und von anderen zu lernen. Das wollen wir beim nächsten Mal wieder anbieten, jedoch unter dem Etikett »Marken/Brands«. Auf dieser Bühne werden Vertreter einer Marke und einer Agentur stehen und 25 Minuten über eine aktuelle Kommunikationsaufgabe sprechen, die erfolgreich gelöst wurde – oder auch gescheitert ist, was genauso lehrreich sein kann.

Gemma O’Brien (Foto: Gerhard Kassner)

Gemma O’Brien at TYPO Berlin 2015 © Gerhard Kassner, Monotype

Wenn du dich zurückerinnerst – an 22 Jahre TYPO Berlin – was waren die skurrilsten Auftritte, Shows, Typen?

Ach, da fällt mir bestimmt etwas ein. Zum Beispiel bei der allerersten Konferenz 1995, die damals FUSE hieß. Da kam David Berlow von The Font Bureau ohne Dias bzw. ohne Computer zu seinem Vortrag … damals wurde noch die Hälfte aller Vorträge von Lichtbildern begleitet. David Bellow sagte: Ich hole mir die Slides über das Internet auf die Bühne. Der Vortrag lag auf einem Rechner in Boston, mit dem er sich dann verbunden hat, um die Folien auf der Bühne in einen HyperCard-Player zu laden. Das Problem: Das Internet war 1995 sehr, sehr langsam. So baute sich jede Folie Zeile für Zeile auf. Trotzdem war es spannend zu beobachten und eine Vorschau auf das, was einige Jahre später zum Alltag wurde.

Was mich sehr stolz macht, dass wir 2002 den Erfinder der TED Konferenzen Richard Saul Wurman als Eröffnungssprecher auf der TYPO-Bühne hatten. Er saß, damals war er bereits ein etwas älterer Herr, auf der Bühne in einem Sessel und plauderte. Tags zuvor war er im Pergamon Museum. Wurman hatte sich an der Hochschule intensiv mit den Plänen des historischen Tempels beschäftigt. Ihm kamen die Tränen, als er das Original-Bauwerk im Museum bewundern durfte. Das hatte ihn tief beeindruckt.

Zu diesem Zeitpunkt war TED bereits eine große Nummer. Und was viele nicht wissen: Die Abkürzung steht für Technology, Entertainment und Design, Entertainment, nicht Education.

 

Noch eine Anekdote: Einmal mussten wir auf das BCC am Alexanderplatz ausweichen, weil das Haus der Kulturen der Welt renoviert wurde. Das Motto war Music. Und als Design-Star hatten wir den »fünften Beatle« Klaus Voormann auf der Bühne, der nicht nur Bass spielte, sondern 1966 auch das Cover von »Revolver« illustrierte. Der erzählte einige Anekdoten über die Beatles, John Lennons Plastic Ono Band und wie Design und Musik für ihn zusammengehörten.

Wir hatten tolle Parties, vor allem Ende der 1990er Jahre, an aufregenden Orten im Ostteil von Berlin. Es gab verrückte Sachen …

Klaus Voorman Foto: Gerhard Kassner

Klaus Voorman, TYPO Berlin 2007, Foto: Gerhard Kassner

Aufregend! Ich bin gespannt, welche Sprecher wir auf der nächsten TYPO Berlin erwarten dürfen. Gibt es bereits erste Zusagen?

Wir haben schon einige Sprecher auf der Website bekannt gegeben. Zum Beispiel Gary Hustwit, einer der besten Regisseure zum Thema Design. Seine Filme »Helvetica« und »Objectified« haben internationale Preise gewonnen. Er arbeitet gerade an einem Porträt über Dieter Rams. Gary meint zwar, dass er im Mai noch nicht fertig sei … aber ich hoffe, dass er uns ein paar Ausschnitte zeigen wird.

Ich freu mich auch auf Susanne Koelbl. Sie ist Auslandskorrespondentin beim Spiegel und berichtet überwiegend aus Krisengebieten. Das passt sehr gut zum Thema Wanderlust. Und weil sie stets von einem professionellen Fotografen begleitet wird, begleitet sie ihre Gedanken mit fantastischen Bildern. Susanne Koelbl ist sehr erfahren und kann die schwierigen Situationen, die in diesen Ländern herrschen, in drei, vier Sätzen zusammenfassen.

Ein lustiger Typ ist Sebastian Lörscher. Er verbindet die Erzählkunst mit der Illustrationskunst, und macht auf dieser Basis ganz tolle Bücher. Ich habe vor einem Jahr beobachtet, wie er sein Buch signiert hat und in jedes eine individuelle Illustration reinmalte. Ganz, ganz toll.

James Victore ist eine Empfehlung von Marc Thiele, unser guter Freund, der die Konferenz »Beyond Tellerrand« organisiert, James ist ein großartiger Grafiker, Illustrator, Lettering Artist … hat auch mit Jessica Walsh zusammengearbeitet.

Der Publizist und Schriftentwerfer Peter Biľak wird auch wieder dabei sein, dieses Mal jedoch mit einem Theaterstück, das er inszeniert.

 

Kurz zu den TYPO Labs. Letztes Jahr feierte der TYPO Ableger seine Premiere. Was macht diese Konferenz aus und wie geht es weiter?

Type-Design ist eine exotische Disziplin. Als ein führendes Unternehmen auf dem Gebiet des Schriftmachens sollten wir darum bemüht sein, diese kleine Industrie zu stärken, damit sich tolle Erfindungen durchsetzen. Ich denke da vor allem an die Entwickler von Betriebssystemen und Web-Browsern, also Apple, Google, Microsoft und Mozilla. Aber auch an Adobe, dem größten Hersteller grafischer Software. Das ist der Grund, warum wir die TYPO Labs ins Leben gerufen haben, um über diese Themen zu reden und so laut zu werden, dass uns die Großen zuhören.

Ich bin nicht happy darüber, wie OpenType-Schriften von der Software-Industrie unterstützt werden. Seit über 10 Jahren hat sich die Qualität der Schriften enorm verbessert, aber der Zugriff auf Sonderzeichen und Funktionen ist alles andere als intuitiv.

 

Noch einmal zurück zur TYPO Berlin: Wie kommt es zu dem Thema »wanderlust«?

Was uns an dem Wort gefällt: Es ist deutsch und auch im Englischen sehr beliebt, allerdings mit einer anderen Konnotation. Bei uns ist es mit Spazierengehen verbunden, international wird es mit Fernweh gleichgesetzt. Es ist ein schöner Begriff und regt die Fantasie an.

Der Grund, warum wir uns immer wieder ein Thema ausdenken: Wenn man den Sprechern das richtige Stichwort gibt, sehen sie das, womit sie sich tagtäglich beschäftigen, plötzlich aus einer neuen Perspektive. Es muss ein Begriff sein, der biegbar ist, interpretierbar: »Humor«, »Space«, »Social« und so etwas. Das Thema hilft auch uns selbst, damit jede TYPO Berlin ihr eigenes Kolorit und jeweils ein neues Corporate Design bekommt. Darauf freu ich mich jetzt schon …

 

Nun abschließend eine letzte Frage: Wenn du die TYPO Berlin 2017 mit einem Emoji beschreiben würdest, welches würdest du wählen?

Ich glaube, ich würde die Katze nehmen mit den Herzen in den Augen. Die sieht so aus, als ob sie unter Fieber steht vor lauter Vorfreude.

 

😻 Vielen Dank Jürgen!

 


TYPO Labs 2017 „New Dimensions in Type Engineering“, die Fachkonferenz für Schriftenmacher. Von 6.–8. April in Berlin. Mit: Behdad Esfahbod, Amélie Bonet, Dan Rhatigan, Tom Rickner, Rainer Erich Scheichelbauer, Thomasy Phinney und vielen mehr. Bis zum 31. Dezember 2016 Early-Bird-Ticket sichern: www.typotalks.com/labs


TYPO Berlin 2017 »wanderlust«, vom 25.–27. Mai 2017. Mit: Eike König, Dominic Wilcox, Gary Hustwit, Debbie Millman, James Victore, Peter Biľak, Sebastian Lörscher und vielen mehr. Bis Ende Dezember zum günstigsten Tarif anmelden: www.typotalks.com/berlin