Betina Müller: Experimentelle Gestaltung – Visuelle Methode und systematisches Spiel

Es geht nicht um ein hübsches Ergebnis, es muss nicht einmal besonders präzise gezeichnet sein – allein der Prozess steht im Mittelpunkt, macht Betina Müller gleich zu Beginn des Workshops deutlich. Die kommende Stunde werde ich so viele Tassen zeichnen, wie in meinem Leben noch nicht.

TYPO-Berlin-2016-05-13-SebastianWeiß-Monotype-_X4A7973© Sebastian Weiß / Monotype

Es scheint eine simple Aufgabe und trotzdem beinhaltet sie all das, was Betina Müller und Armin Lindauer über Jahre hinweg als Gestaltungsmethode entwickelt haben. 30 Teilnehmer zeichnen 30 Tassen. Es ist nur ein Wort – Tasse – und doch kann es so vielfältige Gestalten annehmen. Es seien die einzelnen Elemente, die Form, das Format, die Materialien, die den Charakter des Gezeichneten ausmachen, erklärt Betina Müller. 

„Wenn man das einzelne isoliert, wird man freier im Kopf und kommt zu neuen Lösungen.“ (Betina Müller)


In ihrem Buch „Experimentelle Gestaltung – Visuelle Methode und systematisches Spiel“, das im Frühjahr vergangenen Jahres bei niggli erschienenen ist, haben sie und Armin Lindauer ihre Gestaltungsmethode auf 424 Seiten akribisch durchdekliniert. Das umfangreiche Werk hat nicht nur große Aumerksamkeit (Slanted, Page, Novum und andere) bekommen, sondern wurde auch mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom ICMA , dem Red Dot Award und wurde für den Designpreis Berlin-Brandenburg nominiert.
Experimentieren bedeute nicht einfach wild drauf los kritzeln und das Zufalls-Bauchgefühl entscheiden lassen, sondern vor allem und zuallererst ein Regelwerk definieren. Wichtig ist, dass alle Arbeitsschritte stets nachvollziehbar bleiben und dadurch ein erfolgreicher Prozess auch jederzeit wiederholt werden kann.

Für unseren Workshop gibt sie das Regelwerk vor. Auf den ausgeteilten Arbeitsblättern sind unter dem Titel „Tasse to do” Themen wie Format, Objekt, Hintergrund, … aufgelistet. Jeder dieser Punkte gliedert sich wiederum in Unterpunkte, für die wir je zehn Minuten Zeit haben, möglichst viele und unterschiedliche Entwürfe zu skizzieren. Gestaltung als ein systematisches Handwerk.

„Man macht halt Zwischenschritte, auf die man ansonsten nie gekommen wäre.“ (Teilnehmerin)

Überwindet man erst einmal das Denken, führt das Zeichnen einer Tasse schon gleich zur Idee für eine weitere. Das schnelle Produzieren ist erschöpfend und nach der ersten halben Stunde werden neben mir die Kekse ausgepackt, nach einer weiteren viertel Stunde geht dann das Plappern los.

TYPO-Berlin-2016-05-13-SebastianWeiß-Monotype-_X4A8034© Sebastian Weiß / Monotype

Auch ich löse mich langsam aus meinem apathischen Tunnelblick und stelle fest, dass ich unbemerkt fast acht Blätter mit Tassen (oder Artverwandtem) gefüllt habe. Wir legen all unsere Ergebnisse gemeinsam auf einen Tisch nebeneinander und vor uns breitet sich ein Meer an neuen Erfindungen, spannenden Metamorphosen und ganz eigenen Geschichten aus. Das „Experimentelle Gestalten“ ist eine einfache und spannende Technik, um sich über Kreativitätsblockaden hinweg zusetzen.

Written by Merle Ibach •

Betina Mueller ©KatjaKlein

Betina Müller

Professor Typography, Potsdam University of Applied Science (Potsdam)

Betina Müller studied visual communications at Berlin’s Academy of Arts. From 1984 to 1994, she worked freelance from her own studio, as well as working as an assistant professor at the University of the Arts in Berlin, teaching fundamentals of typography. Since 1992, she has been professor of typography in the design faculty (FB Design) of Potsdam’s newly instituted University of Applied Science. She led the 15th forum for typography in Potsdam 1998 and is a co-publisher of the corresponding documentation “Machtspiele” (Power Plays). She has published numerous student essays, many of which have won awards. In addition to teaching, Müller has been the director and designer for vacat publishers in Potsdam. She has won awards from the Stiftung Buchkunst, the Brandenburg-Berlin design prize, and been nominated for the German design prize and the Red Dot award. Betina Müller lives and works in Potsdam and Berlin. In 2015, the book “Experimental Design: Visual Methods and Systematic Play” by Betina Müller and Armin Lindauer was published by niggli in German and Braun in English. It has been honoured with the silver ICMA and Red Dot awards.