Kultur an die Designer oder Mut zur Botschaft

Der Anschlag auf Frankreichs (Presse-)Freiheit hat Auswirkungen auf die Designwelt. Eine Suche nach visueller Identität die sich gekonnt an der Vergangenheit bedient und Mut zur typografischen Botschaft hat.

Dass es etwas mit Paris zu tun hat wird schnell klar. Das gold-glänzende Cover der 25sten Slanted Ausgabe ziert ein Rapport aus französischen Lilien und ein schwarzer Kussmund. Paris – Stadt der Liebe uns so. Und das Gold? Klar, der Sonnenkönig ist Schuld. Julia Kahl und Lars Harmsen Herausgeber des vielfach ausgezeichnete Typografie- und Designmagazin, welches zwei Mal jährlich erscheint und die Bereiche Typografie, (Grafik-)Design, Illustration und Fotografie verbindet nehmen uns mit auf eine Reise hinter die Kulissen von 18 Pariser Designstudios.

Zeitgleich zu ihrer Interview,- und Recherche-Reise ist das Pariser Stadtbild noch stark von den schrecklichen Anschlägen auf das Satire Magazin Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt am 7. Januar diesen Jahres geprägt. Überall Botschaften und Bekundungen von Bürgern. Ringsherum liest man „Je suis Charlie“ aber auch politisch kritisch Fragen und Aussagen meist von Hand geschrieben und überall wo der Raum es bietet.

© Bettina Ausserhofer (Monotype)

Inspiration durch Wechselwirkung

Es liegt also nahe, dass es auch in den Arbeiten der besuchten Designstudios um den visuellen Transport von Botschaften geht. Und auch darum, dass Frankreichs Ministerien ihre kulturrelevanten Aufträge gerne in die Hände von Designstudios geben die sich dem kulturnahen Klientel verschrieben haben und ein klare Trennung zu großen industriellen Kunden machen. Inhalte gehen durch Gestalterhände und die Ergebnisse sind visuell, rhetorisch und typografisch sehr spannend aufbereitet. Es entstehen Plakate und andere Medien die wirklich mit ihrem Betrachter kommunizieren wollen. Ihn auffordern zu lesen, typografische Kompostionen visuell zu genießen aber auch anregen Doppeldeutigkeiten oder subtile Inhalte aufzuspüren.

deValence, Foto © slanted.de (Monotype)

So kommt es, dass einem auf dem Plakat von deValence für das Stück Hypérion 2014, für La Commune centre dramatique national d’Aubervilliers mutig Text entgegen springt und nicht die typisch erwartete Momentaufnahme einer Bühnenszenerie oder die Gesichter aller mitwirkenden Schauspieler. Oder die Handschrift von Pierre Bernand dem Gründer des Atelier de Création Graphique, für die visuelle Identität der französische Organisation für Menschen mit finanziellen und sozialen Schwierigkeiten. Man hat das Gefühl, dass die schnell in den Straße geschriebene Botschaften als grafische Stilmittel innerhalb vom reproduzierbaren Printmedien etabliert werden – ein Kreislauf der sich in einer Art Wechselwirkung immer wieder von neuem inspiriert. Weitere kontemporärere Arbeiten der besuchten Studios und Büros lassen eine direkte Verbindung zur Geschichte Frankreichs erkennen. Der visuelle Appetit der Betrachter

als auch der Gestalter nach einer Französischen Design-Identität scheint groß zu sein. Gerade weil das visuell kommerzielle Erscheinungsbild Frankreichs stark geprägt ist von der Luxusindustrie, bildet dieser Appetit einen Gegenpol zu Allem retuschierten und auf Hochglanz Getrimmten. Slanted fragt und schaut hinter die Kulissen und die Designer gewähren tiefe Einblicke in ihre Denkweisen, Techniken und Inspirationsquellen. Die Ergebnisse sind nicht versiegelt sondern man hat immer das Gefühl dass die verschiedenen Gestaltungsebenen mit einem kommunizieren. Das sichtbare Erahnen des Druckprozesses ist dabei ein wichtiges Stilmittel.

helmo.fr, Foto ©slanted.de

Das bedeutet Raster, Pixel, Auflösung 4 Farb Versatz! – Schön zu sehen ist dies in den Arbeiten von Thomas Couderc und Clèment Vauchez von Helmo. Sie haben sich zum Ziel gemacht so wenig Werkzeuge und Zutaten zu verarbeiten wie möglich, um dann aus den minimalistischen Entwürfen durch ein Kombinationsspiel Variationen zu erzeugen. Für die Umsetzung solcher Aufträge wendet sich die französische Grafik Szene mit Vorliebe an den Top Siebdrucker Lezar Graphique aus Strassburg. Eine Industrie-Druckerei die eigene Rastersysteme (Blumen, Rauten, Sterne…) entwickelt haben und damit ihre Filme aufrastern. Es entstehen somit Zusammenspiele von Handwerkstechnik und Grafikdesign – dies führt zu einer wichtigen gegenseitigen Wertschätzung und verspricht visuelle Einzigartigkeit.

Julia Kahl

Julia Kahl

Graphic designer, Managing Editor, Publisher (Karlsruhe)

Julia Kahl studied communication design at the University of Applied Arts in Darmstadt before she started to work at Magma Brand Design for Slanted Blog and Magazine as a managing editor. Since July 2014 she is co-owner of the company Slanted Publishers which she runs together with Lars Harmsen.

Lars Harmsen

Lars Harmsen

Creative Director, Editor, Publisher (Munich)

Lars Harmsen lives and works in Munich as creative director at MELVILLE Brand Design. He launched the fontlabel VolcanoType and is editor/publisher of SLANTED blog and magazine, related to design and typography. He is professor of typography and design at the University of Applied Sciences and Arts Dortmund.

Frédéric Teschner www.frederictacer.net, Foto © slanted.de

Im Studio von Frédéric Teschner greift man die Thematik vom anderen Ende an und spannt den Bogen zur (Kunst-) Geschichte Frankreichs, indem man digitale Druck-Ästhetik malerisch zum Einsatz bringt.

Der sichtbare Prozess löst den Über-Perfektionismus ab

Frankreichs Desigener bekommen durch die Aufträge aus dem Kunst und Kulturbereich die Möglichkeit die neue graphische, typographische Erscheinungswelt zu prägen. Visuelle Identität ist immer ein zurückgreifen auf Gelerntes, Prägendes und Gesehenes, der Clou besteht darin es für unsere heutige Zeit relevant zu machen. Unsere visuelle Welt ist zu etwas Glattem, Bearbeitetem und Überperfektem verkommen. „Remove in oder to reveal“ – sozusagen der sichtbare Prozess als Gestaltungmittel ist genauso erfrischend wie der Mut zur Typografischen Botschaft. — Es ist die Reise wert.

JG